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Interview mit dem Brückenfachmann Dr.-Ing. Eberhard Katzschner

Auf einer Veranstaltung der Bürgerinitiative Blasewitz am 27. Februar skizzierte der Brückenfachmann Dr. -Ing. Eberhard Katzschner eine reale Zukunftsvision für das Blaue Wunder. Dr. Katzschner hat im Jahre 1998 im Auftrage des Straßen- und Tiefbauamtes zusammen mit dem Ing.-Büro GMG Dresden das entscheidende Gutachten zur Belastbarkeit des Blauen Wunders erstellt. Es widerlegte die vorher kursierende Behauptung, das Bauwerk stehe kurz vor seinem altersbedingtem Ende. In dem Gutachten hatte das von Dr. Katzschner geleitete Ingenieurbüro für Bauwesen die Belastbarkeit des Bauwerkes untersucht.

Immer wieder gibt es Gerüchte über den Zustand des Blauen Wunders, oft wird eine Sperrung für den Verkehr befürchtet. Was können Sie dazu sagen?

Das Bauwerk in seinem heutigen Zustand ist bis ca. 2030 nutzungsfähig. Um diese als Restnutzungsdauer definierte Zeitspanne jedoch zu gewährleisten, sind einige Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten notwendig, die in einem Maßnahmeplan sowie in einem Wartungsprogramm vorgeschlagen werden. Darüber hinausgibt es die Empfehlung zur messtechnischen Überwachung des Bauwerkverhaltens. In der nationalen und internationalen Fachliteratur sind dazu bereits verschiedene Veröffentlichungen erschienen.

Den Dresdnern aber geht es auch um die Zeit nach der Restnutzungsdauer. Die Brücke ist längst zum technischen Wahrzeichen geworden, wie in London die Tower Bridge, in Sidney die Harbour Bridge oder in San Franzisko die Golden Gate. Für jedes dieser Bauwerke sind Lösungen gefunden worden, sie dauerhaft zu erhalten. Wie könnte eine solche Lösung für das Blaue Wunder aussehen?

Eine solche Lösung könnte beim Blauen Wunder eine Brücke-in-Brücke-Konstruktion sein. Gemeint ist eine Schrägseilbrücke, die zwischen den alten Haupttragwänden eigenständig den Verkehr auf zwei Fahrspuren übernimmt und gleichzeitig die konturgebenden alten Fachwerke stabilisiert.

Soll der Fahrbahnbereich vom Haupttragwerk tatsächlich getrennt werden und total neu entstehen?

Ja. Das Heraustrennen des Fahrbahnrostes ist bei dieser Lösung vorgesehen. Es verbleiben jedoch kurze seitliche Trägerstummel an den Hauptträgern, die als Kontaktstellen zur statischen und stabilisierenden Verbindung des alten mit dem neuen Bauwerk dienen.

Die Schrägseilbrücke in der Brücke nimmt also allein für die Last von Fahrbahn und Verkehr auf. Hat die alte Brücke nur noch die Fußwege zu tragen?

Genauso ist es. Die historische Konstruktion soll nur noch für die Fußwege da sein. Die Ingenieuraufgabe besteht nun darin, das statischen System neu zu bestimmen. Dazu gehört vor allem die spezifische Einbindung der alten Fachwerkuntergurte in die neue Straßenplatte im Sinne eines horizontalen Kräfteschlusses. In vertikaler Richtung hingegen darf sie keine feste Verbindung eingehen, damit das unterschiedliche Schwingungs- und Dehnungsverhalten zwischen alter und neuer Brücke unbehindert ausdifferenziert werden kann.

Die Lösung solcher Probleme ist offensichtlich voller ingenieurtechnischem Reiz. Steht es mit den Scheitelgelenken nicht ähnlich?

Ja, hier muss der Versteifungsträger der Schrägseilbrücke eine spezielle gelenkkompatible Ausbildung erhalten. Dabei sind die Eigenschaften des alten Scheitelgelenkes, das ebenfalls bestehen bleibt, mit zu berücksichtigen.

Nun ist das Blaue Wunder ein Wahrzeichen Dresdens. Bleibt bei Ihrem Lösungsvorschlag das Erscheinungsbild der Brücke erhalten?

Durch eine entsprechende Aufhängung kann erreicht werden, dass die Konstruktionshöhe der neuen Fahrbahnplatte von der heutigen Höhe nicht abweicht. Dazu werden mindestens sechs Seilstützungen an die Fahrbahnplatte heranzuführen sein, je eine in den Randfeldern, je vier im gesamten Mittelfeld, so dass sich die statisch wirksame Spannweite und damit die Konstruktionshöhe des neuen Brückenkörpers gering halten lässt.

Welche weiteren Besonderheiten zeichnet die Brücke-in-Brücke-Konstruktion aus?

Interview mit dem Brückenfachmann Dr.-Ing. Eberhard Katzschner

Es werden zwei Rahmenpylone aus Kastenprofilen aufgestellt. Sie können in den Achsen der alten Lagerlinien stehen, so dass sie seitlich der neuen Fahrbahn zu keiner Einengung der Straßenbreite führen. Aufgrund ihrer ausgesprochenen Schlankheit werden sie optisch so gut wie kaum in Erscheinung treten. Im Grunde könnten sie innerhalb der bestehenden Pylone visuell verschwinden. Genauso ist es mit den Tragseilen der neuen Brücke. Sie verstecken sich optisch hinter der alten massiven Konstruktion und dürften somit kaum auffallen.

Am Ende müssen die Kräfte bis in den tragfähigen Untergrund des Bodens geführt werden. Jedoch die sichtbaren Risse in den alten Pfeilern sind sicher keine gute Voraussetzung dafür. Was wäre ihrer Meinung nach zu tun?

Man kann Bohrpfähle in den jeweiligen Achsen der Pfeiler mit neuen, im Pfeilerkopf zwischen den vorhandenen Lagern eingeführten Auflagerbänken einbringen. Erforderlich werden in diesem Zusammenhang elastische Stützungen des alten Pfeilersystems mit den Bohrpfählen längs der Berührungsflächen.

Es ist wunderbar, zu hören, dass auf diese Weise das Blauen Wunder als funktionsfähiges Verkehrsbauwerk dauerhaft erhalten werden kann. Welche Baukosten würde denn eine solche Maßnahme verursachen?

Man muss ganz sicher mit 50 – 70 Mio Euro rechnen. Darin enthalten sind die hohen Planungskosten sowie eine provisorische Brücke unmittelbar neben der Baustelle für den Zeitraum von ein bis zwei Jahren.

Das ist aber augenscheinlich gut angelegtes Geld, denn das bestehende System der Zufahrtstraßen zu den Brückenköpfen kann weiter genutzt werden, wodurch immense Kosten gespart werden. Dennoch ist ungewiss, ob die Dresdner 3 3 Stadtverwaltung das Konzept der dauerhaften Erhaltung des Blauen Wunders zu ihrer eigenen Sache macht. Darum habe ich am 27. Januar die Gründung eines Vereins zur Erhaltung des Blauen Wunders angeregt. Auch Sie, Herr Dr. Katzschner, gehörten zu den spontanen Unterstützern dieser Initiative. Welche Hoffnungen knüpfen Sie an eine solche Aktivität?

Mit diesem Verein können wir Fachkompetenz bündeln und nationales Interesse an diesem Bauwerk anregen. Der Verein kann kompetente Stahlbauingenieure aus dem In- und Ausland ansprechen und Lösungen sowie Handlungswege zur Erhaltung und dauerhaften Nutzung des Blauen Wunders aufzeigen. Der Verein sollte sich ausdrücklich als konstruktiver Partner der Stadt Dresden verstehen. Für die Dresdner möchte ich auch auf die Arbeit von Karsten Geißler hinweisen, die 2004 in der Zeitschrift „Der Stahlbau“ unter dem Titel „Die Elbebrücke Blaues Wunder in Dresden – Tragwerk und Maßnahmen zur weiteren sicheren Nutzung“ veröffentlicht wurde.

Das Gespräch führte Michael Kaiser, 27. Februar 2005


Interview mit Dipl.-Ing. Michael Kaiser

Institut für Elementarurbanistik, Pabststrasse 12, 01326 Dresden
Tel.: 2654671, Fax: 2654672, info@ife-dresden.de

Sehr geehrter Herr Kaiser, Sie sind Direktor des Instituts für Elementarurbanistik in Dresden und engagieren sich gegen den Bau der Waldschlößchenbrücke. Vorweg gefragt, was heißt Elementarurbanistik?

Vereinfacht gesagt: Vorbeugen statt Heilen. Alles Bauen erfolgt auf der Grundlage von Plänen. Jedoch ein Plan kann bei weitem nicht alles wiedergeben, was von Interesse ist. Die Architektenzeichnungen zum Beispiel geben Auskunft über die Fassaden, die Raumaufteilung, die Materialdetails. Ob das Gebäude aber den dynamischen Kräften aus der Nutzung sowie aus Wind und Wetter stand hält, sieht man nicht. Dazu sind statische Berechnungen notwendig. Im Städtebau sieht es ganz ähnlich aus. Man hat Flächennutzungs – und Bebauungspläne, kann die Stadtviertel erkennen, die Grünflächen und Straßen. Wie diese Strukturen aber als Ganzes auf die dynamischen Makrosysteme von Mobilität, Klima und Wasser wirken, das zeigen die Pläne nicht. Wird wenig oder viel Verkehr entstehen, einschließlich seiner zahleichen Nebenwirkungen, wird ein gesundheits – schädigendes Stadtklima erzeugt, nehmen die Überflutungsflächen an den Flüssen zu? Auch hier können nur Berechnungen die notwendige Klarheit schaffen. Noch immer aber hinken sie den Planungen meilenweit hinterher, können nur aus gewählte Teilaspekte herausgreifen. So hält unsere städtische Wirklichkeit auch heute noch im großen Maßstab negative Überraschungen bereit. Vor diesem Hintergrund wurde die Elementarurbanistik entwickelt, als eine Art Statik der Gesamtstadt. Sie soll zukünftig vor jeder Planung zum unverzichtbaren Klärungsinstrument werden, durch das die Stadtregionen zu einem schonenden Raumgefüge finden, bei dem Mensch und Umwelt bereits auf der archaischen Wirkungsebene von Mobilität, Klima und Wasser miteinander harmonisiert werden.

Und wie beurteilen Sie aus diesem Blickwinkel ein ganz konkretes Vorhaben, wie es die Waldschlößchenbrücke ist?

Wenn ich sagen würde, die Waldschlößchenbrücke stehe einer schonenden Siedlungs – und Verkehrsentwicklung im Wege, träfe das den Nagel nur halb auf den Kopf. Die krasse Realität ist, dass durch ihre großräumigen Netzveränderungen eine zukünftige Raum – und Verkehrsentwicklung angeschoben wird, die auf eine verstärkte Zersiedlung des Umlandes hinausläuft. Das Projekt sieht vor, schon jetzt den Straßenraum für die daraus folgenden Verkehrslawinen zu schaffen. Was bei diesem Szenario jedoch nicht gelingt, ist, die daraus resultierenden globalen und lokalen Klimaveränderungen, sowie die naturhaushaltlichen, gesundheitlichen, sozialen und finanziellen Auswirkungen zu bewältigen. Eine komplexe Wirkungsberechnung, wie sie die Elementarurbanistik vorsieht, würde hierfür den klaren Beweis erbringen. Sie würde aber auch aufzeigen, welche Entlastungen alternative Siedlungs – und Verkehrsszenarien ermöglichen.

Soll das heißen, die Waldschlößchenbrücke könnte genehmigt werden, nur weil eine komplexe Wirkungsberechnung heute noch nicht Stand der Technik ist?

Eine solche Schlußfolgerung ist zutreffend, wenn es sich um eine durchschnittliche Größenordnung handelt, wie es beispielsweise der Ausbau der Königsbrücker Straße, der Wiener Straße oder der Antonstraße sind. Gegen diese Vorhaben, die im Grunde dem gleichen Geist wie die Waldschlößchenbrücke entspringen, ist, wenn sie durch politische Mehrheiten durchgedrückt werden, in der Tat ohne elementarurbanistisches Know-How kein Kraut gewachsen. Man kommt einfach mit den traditionellen Mitteln nicht hin, die schlüssigen Fakten, die gegen die Maßnahme sprechen, über ihren komplexen Einwirkungshorizont hinweg aufzudecken.

Und was heißt das nun auf die Waldschlößchenbrücke bezogen?

Das soll heißen, dass die Waldschlößchenbrücke aufgrund ihrer enormen Fülle an Veränderungen im Dresdner Straßennetz eine Nummer zu groß ist, als dass ihre Langzeit- und Trendwirkung wie bei den kleineren Vorhaben nur als wacklige Größe und damit als gewollter Verlierer in die Abwägung eingestellt werden kann. Das dies natürlich zunächst dennoch versucht wird, hat der Erörterungstermin eindrucksvoll bewiesen.

Haben die Einwender nicht dadurch verdammt gute Karten?

Ja, wenn sich jemand vornimmt, die Decke wegzuziehen, unter der die Planung die wirklichen Fakten zu verstecken versucht, hat er in der Tat gute Karten. Nur ist normalerweise niemand in der Lage, diesen Aufwand zu treiben. Im Falle der Waldschlößchenbrücke ist es der Bürgerinitiative Waldschlößchenbrücke, der Grünen Liga und dem Engagement vieler Dresdner Bürger zu danken, dass sie sich dieser Mammutleistung gestellt haben, die vom Aufwand her eine pralle Million Euro wert ist, ehrenamtlich zum Wohle der Stadt erbracht.

Wird nicht dadurch auch den Verantwortlichen klar, wie verheerend und weitreichend die Folgen dieses Vorhabens sind?

Viele Politiker wollen vor allem Tagesprobleme lösen. Sich klarzumachen, das auch diese Ebene etwas mit ferneren Zeiten zu tun hat, wo sich die Folgen des heutigen Tuns zu unumstößlichen Barrieren der Entwicklung aufaddieren, gehört nicht zu ihrem Geschäft. Die Sächsische Zeitung titelt am 8. Oktober mit der Schlagzeile: „Umweltschutz als Nebensache – ohne Kraft wird Dresden das Klimaschutz-Ziel verfehlen, zu viele Flächen werden versiegelt“ und befragt Dresdens Baubürgermeister Herbert Feßenmayr dazu. Dieser führt den bevorstehenden Vertragsbruch auf den zunehmenden Individualverkehr zurück, womit er genau die Ursache trifft. Als Handlungsempfehlung jedoch schlägt er einen weiteren Straßenausbau vor, womit er genau das falsche tut. Er schafft die Voraussetzungen dafür, dass Umlandwanderung und Autoverkehr zu noch höheren Horizonten aufstreben können.

Die Waldschlößchenbrücke erfüllt nach seinem Konzept die Funktion, weitere Wohn- und Gewerbegebiete in Klotzsche, Weixdorf, Bühlau, Weißig, Pappritz und Rochwitz zu erschließen. Werden diese im Planungszeitraum 2015, wie Prognostiziert, auch errichtet, wird die Waldschlößchenbrücke mehr als 60.000 Fahrzeuge pro Tag aufweisen und sich als Monster sondergleichen entpuppen. Glaswände gegen Lärm, wie bei den Autobahnbrücken, müßten nachgerüstet werden, Fetscherstraße, Wormser Straße, Spenerstraße, Bertolt-Brecht- Allee, Karcherallee – sie alle benötigten riesige Lärmschutzwände gegen die brausende Verkehrsflut.

Das wäre ja ein Schreckens -Szenario, was würde denn das für die Anwohner bedeuten?

Mehr als die Hälfte der Anwohner würden ihren Wohnsitz wechseln und das Weite suchen, ihre Ziele wären dann tatsächlich Klotzs che, Bühlau, Pappritz, Rockau oder Weißig, wie es die Fluchtkonzepte zahlreicher Trassenanwohner, vorgetragen zum Erörterungstermin, beweisen. Die hinterlassenen Wohnungen wären nicht mehr vermietbar, auf die Stadt würde eine riesige Entschädigungswelle von Hauseigentümern rollen. Für die am Ort verbleibenden Anwohner wären gesundheitsgefährdende Emissionen auf der Tagesordnung. Kinder sollten dort auf gar keinen Fall geboren und großgezogen werden.

Das Regierungspräsidium hat diese Zusammenhänge erkannt und die Nachbesserung des Projektes von der Stadt verlangt. Wie aber soll das geschehen?

Die Stadt hat bisher versucht, die Probleme des Verkehrszuges so gut wie möglich zu kaschieren. Jetzt muss sie die Karten offen auf den Tisch legen, die ganze Wahrheit preisgeben. Das heißt, sie muss von viel höheren Verkehrsbelastungen ausgehen, muss die bisher im Projekt verschwiegenen Wohngebiete, in denen der Hauptschaden entsteht, in die Betrachtung einbeziehen, muss die Naturschutzbelangen ausreichend bedienen und sie muss endlich in der gebotenen Tiefe über die Alternativen der Brücke Rechenschaft ablegen.

Alles in allem muss sie jetzt tun, was sie eigentlich schon immer hätte tun müssen, nämlich sich klarzumachen, das dieser Siedlungs – und Landschaftskorridor völlig ungeeignet ist, eine Verkehrsschlagader aufzunehmen!

Der Oberbürgermeister sagte vor kurzem im Fernsehen, dass keine wirkliche Nacharbeit erforderlich sei, da alle Unterlagen im Grunde vorhanden sind. Es wäre zunächst eine Auswahl vorgenommen worden, damit nicht zu viel Papier auf den Tisch gelangt. Nun müsse man die vom Regierungspräsidium nachgeforderten Akten einfach heraussuchen und nachreichen. Wie aber passt das mit der tatsächlichen Problematik zusammen?

Das passt schon irgendwie zusammen. Wenn das mit den vorhandenen Unterlagen wirklich so ist, heißt das doch nur, das die Stadt tatsächlich seit langem die ganze Wahrheit in ihren Ordnern hält und die entsprechenden Unterlagen, wie vermutet, bewußt zurückgehalten hat. Ziel war eindeutig der Versuch, die Plangenehmigung auf diesem Wege zu erschleichen.

Vor dem Hintergrund, dass sich nun Dresden den Jahrhundertfehler der Waldschlößchenbrücke vielleicht doch noch ersparen kann, meine letzte Frage: Was bedeutet für Sie moderne Verkehrsplanung und wie könnte eine positive Entwicklung ohne Waldschlößchenbrücke aus Ihrer Sicht für Dresden aussehen?

Da gibt es bekanntlich ein riesiges Bündel von Maßnahmen, die im Idealfall alle ineinander zu greifen haben. Am Wichtigsten aber scheint mir für Dresden der raumstrukturelle Teilbereich zu sein. Die Leitsätze lauten:

1. Auf der Stelle Stop für den weiteren Ausbau des Straßennetzes. Statt dessen Umgestaltung aller Bereiche, wo Fußgänger nicht über die Straße können, lange warten müssen, nur über Umwege zum Ziel gelangen, kurz gesagt, wo Fußgänger durch den Auto-Vorrang diskriminiert werden, Verkehr zu stark gebündelt wird.

2. Umwandlung aller Straßenbahn- und Bushaltestellen in attraktive Kommunikationszonen, ganz nach dem Beispiel des Elb-Center am Pieschner Winkel oder des Fetscherplatzes.

3. Keine Baugenehmigungen mehr, wenn der Fußweg vom Gebäude zur Bus- oder Bahnstation größer als 300 Meter ist.

4. Keine Abrißgenehmigung von Wohnquartieren, wenn der Fußweg zum ÖPNV kürzer als 300 Meter ist sondern bevorzugte Sanierung als Konkurrenz zum Bauen auf der Grünen Wiese – hingegen bevorzugter Abriss von leerstehenden Gebäuden, wenn der Abstand zum ÖPNV weit mehr als 300 Meter beträgt.

5. Komplexer Ausbau des Fuß- und Radwegenetzes so wie aller innerstädtischen Wanderwege, so dass Fußgehen und Radfahren zehn mal so angenehm und schnell wird, wie Autofahren.

Fünf einfache Faustregeln nur, doch hätte die Stadt die letzten 10 Jahre nach ihnen gehandelt, gäbe es weder Staus auf den Straßen noch hätten Tariferhöhungen bei Bus und Bahn durchgeführt werden müssen. Statt über Verkehrsprobleme zu diskutieren, würden wir dann vermutlich darüber streiten, wie wir die Besuchers tröme, die das vorbildliche Dresdner Siedlungs – und Mobilitätsgeschehen bewundern wollen, auch optimal an unserem kulturellen Aktivitätenspektrum teilhaben lassen können.

Doch was nicht ist, kann ja noch immer werden! Und damit es auch wird, schlage ich einen Runden Tisch „Verkehrswende Dresden“ vor, an dem schonungslos Bilanz gezogen wird und ausgewiesene Stadt- und Verkehrsökologen konzeptionell für Dresden tätig werden.

Interview: Thomas Friedlaender, 03. Dezember 2003


Waldschlößchenbrücke und Finanzpolitik – Gespräch mit Prof. Udo Becker TU Dresden, Lehrstuhl f. Verkehrsökologie

Sehr geehrter Herr Prof. Becker, die Diskussion zur Waldschlößchenbrücke zieht sich seit Jahren hin und es gibt immer noch kein Ergebnis. Wie beurteilen Sie als Fachmann die von der Stadt dem Regierungspräsidium zur Entscheidung vorgelegten aktuellen Planungsunterlagen – immerhin sind ja schon beachtliche 13 Mill. Euro in die Planungen geflossen?

Damit treffen Sie den wunden Punkt: Nach Meinung der Landeshauptstadt ist die Planung wohl ganz toll gelungen, sonst hätte die Stadt nicht das Verfahren eingeleitet. Ich dagegen halte aber die ganzen Planunterlagen für absolut ungeeignet – damit ist keine Abwägung, keine sinnvolle Entscheidung möglich. Nur drei wichtige Kritikpunkte:

1. Es gibt in den Planunterlagen absolut keine Begründung für die Brücke; nirgendwo steht, wo genau im Dresdner Verkehr ein Problem liegt, wann wo Stau auftritt oder was man dagegen tun kann! Lapidar heißt es nur: Verkehr wird mehr, also bauen wir. Grundlage allen Planens wäre aber, dass man überlegt, wo denn nun genau das Problem ist – und hier herrscht komplette Fehlanzeige! Dabei haben die Messungen der TU Dresden bewiesen, dass der Verkehr durch die Stadt seit 1996 sogar um 30% schneller geworden ist – in Dresden kommt man gut voran, trotz der kleinen Probleme an manchen Stellen. Diese Probleme werden aber nirgendwo untersucht oder diskutiert, es heißt einfach: Die Brücke wollen wir bauen.

2. Um die Brücke aber zu rechtfertigen, wurde in den Prognosen für den NULLFALL (die Situation ohne Brücke) einfach angenommen, der Verkehr wird künftig weiter stark steigen – und dazu wurden absolut unmögliche Annahmen getroffen. So wurde zum Beispiel unterstellt, dass zwar die Einwohner zurückgehen, dass aber die Verkaufsflächen in der Stadt in einem unglaublichen Maße zunehmen – und dann fahren im Modell die nicht vorhandenen Menschen zu den zusätzlichen (angenommenen) Läden. Prognosezahlen wurden einfach übertragen, ohne Diskussion der Frage, ob wir das auch so wollen und ob das in Dresden wünschenswert ist. Es gibt noch viele andere Punkte – immer wurde so vorgegangen, dass die Prognosezahlen für den NULLFALL sehr hoch sind. Hier wurde also systematisch zuviel Verkehr unterstellt.

3. Dagegen wurden die Berechnungen für den MITFALL (mit Brücke), also für den Fall, bei dem die Brücke dann tatsächlich gebaut wird, systematisch zu klein gerechnet. Die Planer haben dabei nämlich angenommen, dass die Brücke zu keiner Veränderung im Siedlungs- und Wohnortwahlverhalten führt. Das ist aber in einer Marktwirtschaft vollkommener Unsinn: Natürlich verringert eine Brücke die Reisezeiten und die Kosten und die Unbequemlichkeit der Reise, das soll sie ja – und dann wird aber in einer Marktwirtschaft ganz logisch häufiger und weiter gefahren. Hier geht es um den sekundär induzierten, also erzeugten, Verkehr – und den gibt es, da herrscht wissenschaftlich kein Zweifel. Andere Länder berücksichtigen den auch, hier wird er zwar in den Planunterlagen beschrieben und auch ausdrücklich erwähnt, nur in den Rechnungen wird er auf Null gesetzt. Und dann sind die Werte für den Mitfall gerade so, dass sich eben die jeweiligen Abgas- und Lärmwerte ergeben. Weil wir aber wissen, dass Menschen ihr Verhalten ändern, wissen wir auch, dass de facto im MITFALL überall zu kleine Verkehrsmengen bestimmt wurden: Wird die Brücke gebaut, dann gibt es mehr Verkehr, und zwar auf der Brücke, auf den Zufahrten und auch im restlichen Netz, eben weil Menschen dann ihr Verhalten ändern. Damit aber ergibt sich der Fall, dass eigentlich keine richtigen, korrekten, belastbaren Werte vorliegen: Man kann also gar nicht abwägen oder entscheiden. Das Regierungspräsidium bräuchte erst mal überhaupt verwertbare Unterlage n. So, wie das jetzt beschrieben ist, sind das alles Wunschwerte. Und damit erkaufen wir uns teuer eine Menge zusätzlicher Probleme im Restnetz ein ….

Sie meinen also, die vierspurige Brücke erzeugt mehr Probleme, als das Bauwerk vorhandene Probleme löst?

Ja, aber sicher – zumal niemand untersucht hat, wo denn vorher überhaupt welches Problem herrscht und was man sonst noch dagegen tun könnte. Das ganze ist ein völlig unzeitgemäßer Ansatz, eine Planung nach Prinzipien von vor Jahrzehnten: Und mit viel Geld kaufen wir uns dynamische Entwicklungen ein, die dann ganz viele Folgekosten nach sich ziehen. Wir geben also mit der Brücke viel Geld dafür aus, dass dann hinterher viele teure Folgeprobleme erst entstehen.

Wie müssten wir denn anders planen? Oder anders gefragt: Was sagen Sie den denjenigen, die täglich zu den Stoßzeiten im Auto durch den Stau quälen müssen, oder die an der Haltestelle auf ihre, allzu oft ebenfalls im Stau stehende, Straßenbahn warten? Irgendwie müssen unsere zweifelsfrei vorhandenen Verkehrsprobleme angegangen werden!

Genau um diese Probleme geht es. Und da muss unbedingt zuerst eine Analyse her: Wo klemmt es denn und wo liegen die Probleme tatsächlich? Wenn man das weiss, muss man untersuchen, was man nun tun kann: Wenn eine Kreuzung überlastet ist, kann man natürlich eine Spur dazubauen oder man sorgt dafür, dass vielleicht 50 Autofahrer in die Straßenbahn umsteigen – das geht durch einen attraktiven ÖV, man kann das so machen, dass für diese 50 Fahrten der Öffentliche Verkehr echte Vorteile aufweist, dass die Menschen also freiwillig und gerne und mit Vorteilen umsteigen. Und dann haben die DVB einige Fahrgäste zusätzlich gewonnen, was wiederum die Zuschüsse reduziert: Und Dresden hat dreifach gewonnen: Man muss keine Steuergelder für den Ausbau aufwenden, 50 Leute fanden es richtig vorteilhaft, mit der Bahn zu fahren, und die Stadt spart außerdem noch einige Zuschüsse. Außerdem sinkt dann die Luft- und Lärmbelastung, sodass sogar noch die Anwohner gewinnen – solche Lösungen gibt es, man muss sie nur suchen, und man muss endlich raus aus der Ecke, wo es bei jedem Verkehrsproblem einfach nur heißt „Dann müssen wir eben noch mehr bauen!“. Wenn ich mich gegen die Brücke ausspreche, dann doch nicht, weil ich den Dresdner Autofahrern etwas Böses antun will, im Gegenteil! Ich tue dies, weil genau die jetzt vorgelegte Lösung diese Probleme nicht löst und den Leuten nicht hilft: Da wird dann eine Brücke gebaut, der Verkehr wächst weiter, und am Ende stehen alle wieder im Stau, nur auf noch höherem Niveau. Hier sind andere, intelligente Konzepte gefragt. Und einfach nur zu bauen ist keine Lösung: In einer dynamischen Marktwirtschaft ist es kompletter Unsinn, eine zu hohe Nachfrage damit bekämpfen zu wollen, dass man den Verkehr noch billiger, schneller, attraktiver macht.

Was glauben Sie, woran liegt es, daß die Planer nach Ihrer Meinung so schlechte Zahlen vorgelegt haben?

Die Planer haben natürlich geplant, was man Ihnen vorgab – und hier liegt der Schwarze Peter eindeutig bei den politischen Vorgaben. Ich bin da manchmal sehr überrascht: Da gehen die wirklich bemühten und kompetenten und wohlmeinenden Verkehrsfachleute der Landeshauptstadt mit abgestimmten und rundum gelungenen Pla nungen in den zuständigen Ausschuss, und dort fällt einem der Stadträte ein, dass er doch lieber einen Tunnel will – es kann auch eine andere, völlig unbezahlbare und unsinnige Lösung sein. Und dann wird der Plan der Verkehrsfachleute einfach abgelehnt, und der Planer wird wie ein Schulkind nach Hause geschickt, jetzt soll er bis zum nächsten mal einen Tunnel (oder was auch immer) planen. Beim nächsten Mal kommt er dann mit dem Tunnel in den Ausschuss, sagt, wie teuer das ist – und dann wird einfach der Tunnel widerrufen, jetzt will man wieder eine neue Lösung – und so geht das hin und her. Der Schwarze Peter liegt hier wirklich nicht bei den Planern, sondern bei den politischen Vorgaben: Da werden oft wirklich ganz eigene Süppchen gekocht, weil ein Minister eine Brücke genau an dieser Stelle will, weil ein Stadtrat aber genau an einer anderen Stelle wohnt: Es ist für die Fachplaner einfach unmöglich, mit diesen Vorgaben sinnvoll zu planen, und das sieht man dann der Planung auch an: Die jetzt vorgelegte Planung für die Waldschlößchenbrücke wäre in dieser Form nie entwickelt worden, wenn die Politiker da nicht ihre Extrawürste gebraten hätten, da bin ich ganz sicher.

Welche Entwicklung prognostizieren Sie der Stadt, wenn die Pläne des Finanzbürgermeisters Vorjohann in den nächsten Jahren verwirklicht werden? Es geht um viel Geld, welches vor allem in neue Straßen im Stadtgebiet investiert werden soll, während er im Kultur- und Sozialbereich den Rotstift zu einer Streichorgie ansetzt?

Herr Vorjohann ist nicht zu beneiden, was er tut, gibt Ärger. Trotzdem finde ich, dass er schlecht beraten ist, Geld in Verkehrswege zu stecken – denn die werden wir nicht brauchen. Wir werden weniger, wir werden älter, Dienstleistungen und Chip-Fabriken und Internet werden wichtiger als Stahlwerke und 8-streifige Autobahnen. Mit den Kürzungssignalen bei Jugend-, Senioren- und Kulturpolitik würde er aber fatale Signale setzen: Er würde nämlich allen zeigen, dass diese soziale Komponente unserer Stadt unwichtig ist. Und genau so werden sich die Menschen, die Jugendlichen, die Betroffenen dann verhalten: Unerwünscht und ohne Partner. Das aber ist für ein Gemeinwesen ruinös; mit Schlaglöchern kann man leben, wenn man sich als Teil der Gemeinschaft fühlt. Die besten Autobahnen nützen nichts, wenn man sich nicht mehr als (erwünschter!) Teil der Stadt fühlen kann.

Trotzdem, Herr Vorjohann argumentiert, daß nur durch gute Straßen Investoren nach Dresden kommen. Er meint, eine gute Verkehrsinfrastruktur sei eine wichtige Voraussetzung für die Ansiedlung von Unternehmen und damit für die Zukunftsfähigkeit Dresdens.

Ach, hören Sie doch auf, das liest man zwar oft, aber richtig ist es dennoch nicht: Es gibt 1000 Voraussetzungen für ein Unternehmen, hierher zu kommen, und Verkehrswege sind nur eine Voraussetzung. Unsere Verkehrswege sind nun schon einigermaßen gut, es geht hier schneller voran als in Köln oder Stuttgart, und man kommt überall hin – das ist eine Grundvoraussetzung, die ist aber für fast alle Unternehmen erfüllt. Dann aber braucht man als Unternehmer auch begeisterungsfähige Arbeiter, eine gute Verwaltung, gute Schulen, Opern, einen Stadtgarten, saubere Luft, sichere Wege zu guten Kindergärten, ein Gemeinschaftsgefühl und viel mehr. Welche Leute wollen Sie denn hier herziehen, wenn wir die besten Straßen, aber keine Kindergärten, keine Schulen, keine Museen, keine lebenswerte Umwelt mehr haben? Dann kommt doch überhaupt kein zukunftsfähiger Investor mit Ideen hier an – und daran fehlt es, nic ht an noch mehr Beton. Zukunftsfähig wäre es, wenn wir statt dessen heute die Investoren locken, die sich in Zukunft zu echten Knüllern entwickeln werden – und das sind intelligente, verkehrsreduzierende, vernetzte Konzepte, und die brauchen eine lebenswerte Umwelt und schlaue Köpfe und einen Computer, sonst nichts. Das wäre im Sinne der Stadt!

Lassen Sie uns nochmals auf die Waldschlößchenbrücke zurückkommen: Viele Menschen verknüpfen mit dem Bau dieser Brücke gewisse Hoffnungen. Wo würden Sie denn in unserer Stadt eine Brücke über die Elbe schlagen? Wo im Stadtgebiet gibt es die größten Verkehrsprobleme und wie würden Sie denn diese Probleme lösen, wenn Sie das entscheiden könnten? Brauchen wir mehr kleinere Brücken? Soll es nur Brücken für Bus, Bahn, Radfahrer und Fußgänger geben? Was kosten denn solche Lösungen?

Tja, das würde ich gerne einmal wissenschaftlich untersuchen – aus dem Stegreif kann ich das nicht beantworten. Aber ich denke, Dresden braucht gerade in dieser katastrophalen Finanzlage andere Lösungen als zusätzliche Straßen oder Brücken: Es geht um Gemeinsinn und um die Zukunft. Zur Zeit lese ich in der Zeitung, auf die Brücke darf man nicht verzichten, weil sonst die Fördergelder nicht kommen. Tut mir leid, das kapiere ich einfach nicht: Weil uns Bund oder Freistaat 100 Millionen geben, muss ich doch noch lange nichts gut finden, was mich noch immer noch 10 Millionen „Restmittel“ kostet und was mich danach dann Jahr für Jahr 1 Million Unterhalt kostet, wenn ich das Teil eigentlich nicht brauche? Stellen Sie es sich doch mal so vor: In Grönland kommt zu den Eskimos ein Mann, der Kühlschränke verkauft (brauchen wir nicht wirklich!), und der verspricht eine Fördersumme von 1000 EURO – jeder Eskimo muss nur noch 100 EURO für den Kühlschrank bezahlen und danach dann natürlich die jährliche Stromrechnung. Was soll das? Auf Fördergelder für etwas, was mich nachher noch mehr Geld kostet und das ich nicht brauche, verzichte ich doch mit Handkuss. Im Gegenteil: Wer ein solches „Geschenk“ annimmt, handelt Verantwortungslos, denn er macht schon wieder Schulden auf Kosten der nächsten Jahrzehnte.

Herr Prof. Becker, ich danke Ihnen sehr herzlich für das Gespräch!

Interview: Thomas Friedlaender, 22. Oktober 2003
Prof. Udo Becker TU Dresden
Lehrstuhl f. Verkehrsökologie
Dresdner Institut für Verkehr und Umwelt
Tel. 0351-46336566,
Fax: 0351-46337718
Hettnerstr.1, 01069 Dresden, Raum 7 – 11
http://www.verkehrsoekologie.de/


Interview mit Prof. Becker, TU Dresden

Udo Becker sieht keinen Unterschied zwischen Ökonomie und Ökologie, langfristig sei beides identisch. Das predigt der 45-jährige Experte für Verkehrsökologie der TU Dresden seinen Studenten, doch in Stadt und Land seien solche und andere, einfachste Einsichten nicht vorhanden. Sein bestes Beispiel: die Waldschlößchenbrücke. Ein Bauwerk, das Dresden nicht braucht. Warum das so sein soll, darüber sprach DNN-Redakteur Ralf Redemund mit dem Wissenschaftler, der vor seiner Tätigkeit an der TU (seit 1994) jahrelang beim renommierten Beratungs-Unternehmen Prognos AG in Basel tätig war.

Was spricht für den Bau der Waldschlößchenbrücke?

Das frage ich mich auch. Es gibt keinen langfristig sinnvollen Grund, sie zu bauen. Warten Sie! Oder doch: Weil man sein Gesicht nicht verlieren will. Weil man schon so lange darüber diskutiert. Weil man gewissen Leuten gegenüber im Wort steht. Weil man ein gutes Verhältnis zur Staatsregierung haben will. Weil man für die Bauwirtschaft Arbeitsplätze schaffen will.

Was ist mit den Staus in Dresden? Bringt die Brücke keine Entlastung?

Unsinn. Ich kenne keine andere deutsche Großstadt, in der der Verkehr auf den Hauptstraßen so flüssig rollt. Wie gut es Dresden geht, beweisen auch die seit Jahren durchgeführten Reisezeitmessungen meines Kollegen Prof. Werner Schnabel. Im Gegenteil: Der Verkehr in Dresden wird seit Jahren immer flüssiger – allen Prognosen zum Trotz.

Was stimmt nicht an den Prognosen?

Alle Annahmen stimmen nicht. Die Einwohnerzahl ist drastisch zurückgegangen statt gestiegen. Die Bevölkerung wird drastisch älter. Und im Alter fährt man weniger Kilometer.

Aber auch Ältere wollen mobil sein!

Ja, unbedingt! Das ist Menschenrecht. Wir müssen aber grundsätzlich unterscheiden: Mobilität ist etwas anderes als Verkehr. Man kann viel Mobilität haben mit wenig Verkehr oder viel Verkehr für wenig Mobilität. Mobilität sind Aktivitäten oder Ziele, die ich erreiche, Verkehr sagt, welchen Aufwand ich dazu benötige (Benzin, Stahl, Kilometer, Lärm, Abgase). Die Waldschlößchenbrücke schafft nur wenig Mobilität, produziert aber viel Verkehr. Das müssen sie erläutern. Mit der Waldschlößchenbrücke wird es billiger, leichter, schneller für das Auto. Darunter leiden die Dresdner Verkehrsbetriebe: weniger Kunden, weniger Einnahmen, geringere Taktzeiten. Zum anderen leiden alle anderen Straßen der Stadt. Der Unterhalt ist schon jetzt nicht gewährleistet. Hinzu kommen die Kosten für den Unterhalt der Brücke. Der Lärm, der durch den Verkehr über die Brücke erzeugt wird, überschreitet alle gesetzlichen Vorgaben und Normen. Außerdem wird die Umwelt durch Feinstaub, Benzol und Stickoxide belastet – auch hier weit über den Grenzwerten zum Gesundheitsschutz liegend. Hier wird die Schädigung der Gesundheit bewusst in Kauf genommen. Ich halte zum Beispiel die Lärmwerte für menschenverachtend.

Aber die Brücke entlastet doch die Innenstadt von Verkehr!?

Nur wenn man statisch und kurzfristig denkt: vielleicht in den ersten Jahren ein wenig. Und dann? Dann haben sich alle eingerichtet. Autofahrer fahren öfter und weiter. Der eine oder andere steigt vom Bus aufs Auto um. Manche ziehen aus der Stadt raus. Endergebnis: Dieselben Leute fahren für dieselbe Mobilität mehr Kilometer. Und das bedeutet neuen Stau… Das ist übrigens der Hauptfehler der vorliegenden Planung: Die komplette Raumordnung wird geändert, ohne dass das Berücksichtigung findet. Systemzusammenhänge werden völlig außer Acht gelassen. Dresden versucht, zu viel Verkehr durch attraktive Verkehrswege zu bekämpfen. Das hat noch nirgendwo funktioniert. Es gibt keine Stadt der Welt, die damit erfolgreich gewesen wäre.

Was würden Sie sich wünschen?

Dass intelligenter geplant wird. Dass Mobilität erhalten oder ausgebaut wird, ohne Schäden und Schulden. Eine aktuelle Studie des sächsischen Umweltministeriums über externe Kosten, also Schädigungen von Dritten, zeigt, dass jeder Sachse im Jahr etwa 2000 Euro an Schäden verursacht, die er nicht bezahlt, sondern den anderen (Menschen, Ländern, Generationen) angelastet werden. Wir alle wollen unsere Vorteile an der Mobilität haben, aber die Kosten des Verkehrs dafür sollen andere tragen. Dafür wird geplant, gebaut, dafür werden Schulden gemacht und andere dringende Aufgaben (Schulen, Bildung, Sozialsystem) vernachlässigt. Das ist einfach un-nachhaltig.

Dresdner Neueste Nachrichten, 3. April 2003


Interview zum Thema Planfeststellungsverfahren Waldschlößchenbrücke

mit Dr. rer. nat. MARTIN LA FRANCE
Dipl.-Biologe und von dem Projekt betroffener Bürger
E-Mail: Martin_La_France@web.deDiese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, Sie müssen Javascript aktivieren, damit Sie sie sehen können

Herr Dr. La France, warum ist der „Verkehrszug Waldschlößchenbrücke“ aus umwelt- und naturschutzfachlicher Sicht Ihrer Meinung nach nicht genehmigungsfähig?

Nun, zunächst sehe ich in den von der Landeshauptstadt eingereichten Planungsunterlagen gravierende Verstöße gegen verbindliche Rechtsvorschriften der UVP (Umweltverträglichkeitsprüfungs)-Richtlinie der EU, des bundesdeutschen und sächsischen UVP-Gesetzes, des Bundesnaturschutzgesetzes sowie des Sächsischen Naturschutzgesetzes. Diese Gesetze schreiben zunächst eine Eingriffsvermeidungsprüfung vor, im Falle Waldschlößchenbrücke also eine umfassende Untersuchung, ob durch den Ausbau vorhandener verkehrlicher Infrastruktur und die Ertüchtigung bestehender Brücken auf eine weitere Elbquerung verzichtet werden könnte. Dies ist in nachvollziehbarer Form bislang nicht geschehen. Stattdessen wird beharrlich behauptet, weitere Elbquerungen wären unverzichtbar.
Im Falle des Bedarfsnachweises hätte dann in einem zweiten Schritt eine umfassende Prüfung zur Eingriffsminimierung durch den Vergleich sämtlicher machbarer Planungsalternativen hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen erfolgen müssen. Hierbei wäre jene Variante mit den voraussichtlich geringsten Gesamtauswirkungen auf die Umwelt zu favorisieren gewesen, es sei denn, man hätte zwingende Gründe eines übergeordneten öffentlichen Interesses an einer Brücke am Standort Waldschlößchen geltend machen können. Letzteres ist jedoch nicht der Fall, und somit wären alternative Brückenstandorte mit vergleichbarer verkehrlicher Entlastungswirkung, etwa eine 3. Marienbrücke oder die planerisch ausgearbeiteten Tunnelvarianten am Standort Waldschlößchen (unter der Elbe durch), mit vergleichbarem Aufwand zu untersuchen gewesen. Bedauerlicherweise ist dies ebenfalls nicht geschehen – trotz bisheriger Planungskosten von sage und schreibe 13 Mio. Euro. In der eingereichten Planfassung wurden lediglich 3 geringfügig verschiedene Brückenvarianten am Standort Waldschlößchen hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen miteinander verglichen. Die vorhandenen Standortalternativen wurden dagegen nicht in die Umweltverträglichkeitsuntersuchung (UVU) einbezogen.

Vertreter der Stadt betonen immer wieder, dass die Entscheidung für den Brückenbau am Standort Waldschlößchen auf einen Stadtratsbeschluss aus dem Jahre 1996 zurückgeht, dessen Informationsbedarf über ein Gutachten aus dem Jahre 1995 und einen von der Stadt initiierten „Brückenworkshop“ sichergestellt war, in dem Planungsfachleute alle denkbaren Varianten intensiv durchdiskutiert haben.

In der Tat führt die in den aktuellen Planungsunterlagen enthaltene UVU als Begründung für die Beschränkung des Untersuchungsrahmens auf 3 Brückenvarianten am Standort Waldschlößchen den von Ihnen angeführten „Workshop“ und die Studie von 1995 an. Letztere beinhaltet einen Alternativenvergleich von immerhin 5 verschiedenen Brückenstandorten; die Tunnelvarianten, die nachweislich nicht wesentlich teurer sind als die prognostizierten Kosten der eingereichten Variante des Verkehrszuges, blieben allerdings ausklammert. In Form und Inhalt war dieses Gutachten jedoch lediglich eine „vergleichende Erheblichkeitsuntersuchung“, deren umwelt- und naturschutzfachliche Ergebnisse nicht Gegenstand der aktuellen UVU sind und auch niemals Gegenstand einer UVU im Rahmen einer früheren genehmigten oder teilgenehmigten Eingriffsplanung waren.
Das Gutachten von 1995 postuliert einen „vordringlichen Bedarf an einer neuen Elbbrücke im Dresdner Osten”, wobei der Standort Waldschlößchen unter den untersuchten Alternativvarianten ausdrücklich wegen seiner „größten verkehrlichen Entlastungswirkung“ zur vordringlichen Realisierung empfohlen wird. An diese rein verkehrsorientierte Gesamtbeurteilung – in punkto Umweltauswirkungen schnitt der Standort Waldschlößchen von allen Einzelbrückenstandorten mit Abstand am schlechtesten ab – und an die gleichsinnige Empfehlung des „Brückenworkshops“ angelehnt kam es 1996 zu besagtem Stadtratsbeschluss gegen mögliche Standortalternativen und für die Proklamation des Standortes ”Waldschlößchen” als dem zu favorisierenden Ort für eine zusätzliche Elbquerung via Brücke. In Wirklichkeit waren die Alternativstandorte also niemals in eine vom UVP-Gesetz vorgeschriebene Eingriffsminimierungsprüfung integriert, die deren umwelt- und naturschutzfachliche Eingriffserheblichkeiten jenen des Querungsstandortes ”Waldschlößchen” vergleichend gegenübergestellt hätte. Die eingereichte UVU setzt quasi ungeprüft voraus, dass die Eingriffserheblichkeit der Waldschlößchenvarianten geringer sind als die jener Alternativen, die 1996 per politisch motiviertem Stadtratsbeschluss abgelehnt wurden. Ein klarer Rechtsverstoß, denn faktisch wurde das Gebot zur ordnungsgemäßen Eingriffsminimierung damit ignoriert. Daran ändert auch der Beschluss des Stadtrates nichts, und – Entschuldigung – auch demokratisch gewählte Volksvertreter sind doch an geltende Rechtsvorschriften gebunden, oder?

Aber auch im „Brückenworkshop“ kamen die Fachleute doch zu der Überzeugung, dass der Standort Waldschlößchenbrücke unter Berücksichtigung sämtlicher Belange die insgesamt beste Alternative ist?

Die Abwägung von Vor- und Nachteilen der vielfältigen Aspekte solcher Großplanungen sind Aufgabe der zuständigen Genehmigungsbehörde, also des Regierungspräsidiums. Deshalb hilft den Stadtvertretern auch der gebetsmühlenartig wiederholte Verweis auf einen demokratischen, dem „Brückenworkshop“ nachgeschalteten Stadtratsbeschluss nicht weiter, denn der kann eine ordnungsgemäße UVU eben nicht ersetzen. Nach glaubhaften Aussagen der ehemaligen Dezernenten für Verkehr und Umwelt (Klaus Gaber) und für Stadtentwicklung und Bau (Gunter Just) war dieser „Workshop“ darüber hinaus ein eher anrüchiges „Politspektakel“, weil dessen Teilnehmer vom damaligen Oberbürgermeister und Brückenbefürworter Herbert Wagner höchst selektiv ausgewählt wurden und bestimmte Querungsvarianten wie das sogenannte Mehrbrückenkonzept und die den Elbraum schonenden Tunnellösungen eben nicht auf der Diskussionsliste standen. Alles in allem lassen sich diese Begebenheiten im Planungsvorfeld nur als massive Einflussnahme seitens der politisch Verantwortlichen interpretieren mit dem Ziel, gewichtige fachliche Argumente gegen die Waldschlößchenbrücke – und nicht nur im umweltrelevanten Bereich – von vornherein auszuklammern und die „Bedenkenträger“ mundtot zu machen. Meiner Meinung nach zeigt sich hier ein etwas exotisches Demokratie- und Rechtsverständnis bei einigen amtierenden und ehemaligen Spitzenpolitikern der Landeshauptstadt.

Nach Ansicht von Baubürgermeister Herbert Feßenmayr (CDU) wird seitens der Brückengegner „… da immer neues Getier gefunden“ (DNN, 29.10.03), um das Bauvorhaben zu blockieren.

Dieses „Getier“ wurde nicht von den Brückenkritikern ausgesetzt, sondern hat dort seinen angestammten Lebens- und Ausbreitungsraum. Da die Elbtallandschaft von Schöna bis Mühlberg vom Freistaat Sachsen als schützenswertes Gebiet an die EU gemeldet wurde und damit einen Rechtsstatus als FFH(Flora-Fauna-Habitat)-Schutzgebiet aufweist, ist die Landeshauptstadt gehalten, entsprechende Rechtsvorschriften zu respektieren, die den Schutz der teilweise vom Aussterben bedrohten Arten und ihrer Lebensräume garantieren sollen, die im Dresdener Auengebiet durch dessen bislang hohe natur- räumliche Qualität erfreulicherweise noch vorkommen – eigentlich ein Qualitätssiegel für die Stadt. Die Formulierung von Herrn Feßenmayr charakterisiert dagegen die bedenkliche Auffassung, solche Werte gegenüber Verkehrs- und Wirtschaftsplanungen nach Gutdünken zurückdrängen zu können, auch weil sie weiten Teilen der Öffentlichkeit als nachrangig erscheinen. Nach der gängigen Rechtslage ist von einer solchen Nachrangigkeit jedoch nur dann auszugehen, wenn der Eingriff in Natur und Landschaft als „nicht erheblich“ und damit als ausgleichbar anzusehen ist. Die Genehmigungsfähigkeit der Brücke hängt also letztlich mit der Definition der „Erheblichkeitsschwelle“ zusammen, ab der Auswirkungen des geplanten Eingriffs auf hochbedrohte Arten als so gravierend angesehen werden müssen, dass dieser zu versagen ist, wenn kein übergeordnetes öffentliches Interesse nachgewiesen werden kann. Die in den Planungsunterlagen enthaltene FFH-Verträglichkeitsuntersuchung stellt die Eingriffserheblichkeit etwa für den Wachtelkönig, hochbedrohte Fledermaus-, Libellen-, Käfer- oder Schmetterlingsarten durchgängig in Abrede, obwohl ein ausreichender Informationshintergrund fehlt und die vertretene Argumentationslinie bei etlichen Arten aus naturschutzfachlicher Sicht zumindest zweifelhaft, in einigen Fällen sogar gänzlich unhaltbar ist. Aus der Sicht des Naturschutzes eine unakzeptable Vorgehensweise, und genau deshalb haben die Naturschutzverbände NABU, GRÜNE LIGA und B.U.N.D. eine gemeinsame Beschwerde gegen die Planung „Waldschlößchenbrücke“ bei der EU-Kommission in Brüssel eingereicht. Da die Brücke überwiegend aus EU-Strukturfördermitteln finanziert werden soll, hat die Stadtverwaltung hier also ein ernstliches Problem.

Hand aufs Herz. Sind diese Fledermäuse oder Wachtelkönige wirklich so wichtig, dass sie herangezogen werden können, um am Standort Waldschlößchen eine vierspurige Brücke mit überörtlicher Bedeutung zu verhindern?

Die Bedeutung des Naturschutzes wird in breiten Kreisen der Öffentlichkeit aus Unwissenheit völlig unterschätzt. Naturschutz ist kein Steckenpferd naturversessener Spinner oder Ökoaktivisten, sondern letztlich reiner Menschenschutz – Schutz der Menschen vor ihren eigenen unbedachten Handlungen. Die gesetzgebenden Instanzen haben dies erkannt, und nur aus dieser Notwendigkeit heraus wurde überhaupt eine Naturschutzgesetzgebung aus der Taufe gehoben. Jede verschwundene Art kann das Ökosystem, in dem sie ursprünglich vorkam, destabilisieren. Betrachten Sie beispielsweise die vom Aussterben bedrohte Kleine Hufeisennase, eine Fledermausart, deren Lokalpopulation vom landschaftszerschneidenden Effekt einer gebauten Waldschlößchenbrücke durch Beeinträchtigung des Gen-Austausches zwischen ihren Populationsteilen erheblich geschädigt werden könnte. Diese Tiere stellen nicht nur einen Wert für sich dar, sondern sie dienen uns Menschen, etwa indem sie nachts die Populationen vieler Insektenarten klein halten, gegen die wir sonst giftige Insektizide einsetzen müssten – mit all den dazugehörigen Folgeeffekten und gesundheitlichen Risiken für uns selbst. Zur besseren Charakterisierung solcher Zusammenhänge wurde in der theoretischen Ökologie die so genannte „Nietenhypothese“ aufgestellt, die Ökosysteme wie Flugzeuge beschreibt, die mit Nieten zusammengehalten werden. Mit jeder aussterbenden Art fällt eine Niete aus dem Flugzeug heraus, aber Pilot und Passagiere wissen nicht, ab welchem Moment der Flugkörper dadurch instabil wird – und abstürzt. Würden Sie mit diesem Wissen und ohne Not in ein solches Flugzeug einsteigen?

Das Gespräch führte TORSTEN SCHULZE am 19.11.2003