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29. Mai 2013 - Gedenktafel zur Waldschlösschenbrücke – nur mit allen Wahrheiten

Einweihungsfeier und Gedenktafel zur Einweihung der Waldschlösschenbrücke

Offener Brief

Sehr geehrte Damen und Herren,

einige politische Verantwortungsträger des Stadtrates fordern allen Ernstes, die Einweihung der Waldschlösschenbrücke mit einem großen, weithin wahrnehmbaren Fest zu begehen. Herr Holger Zastrow, FDP, hat außerdem angeregt, eine Gedenktafel aufzustellen, auf der die ganze Entwicklungsgeschichte des Bauprojektes Waldschlösschenbrücke ausführlich dargestellt werden soll. Das sind Ideen von einer bemerkenswert provokanten, politischen Instinktlosigkeit, die sich zu einem krachenden Bumerang entwickeln könnten. So sollte eine Gedenktafel doch die volle Wahrheit berichten – sonst geschieht das gewiss an anderer Stelle.

Zur Wahrheit aber gehören doch folgende drei Tatsachen, die unvergessen sind:

1. Der Bau dieser Brücke wird von den Befürwortern stets damit gerechtfertigt, dass die Dresdner sich in einem Bürgerentscheid mehrheitlich für dieses Projekt ausgesprochen hätten. Die politischen Verantwortungsträger geben vor, sie seien aus Respekt vor dem Bürgerwillen verpflichtet gewesen, dieses Votum für den Brückenbau umzusetzen. Diese Argumentation ist nur die halbe Wahrheit, ja sie ist, weil eben nicht die ganze Wahrheit, eigentlich eine Täuschung. Denn sie verschweigt, dass die Bürger beim ersten Votum nicht darüber aufgeklärt wurden, dass die UNESCO diesen Brückenbau als eine Verletzung des Welterbegebietes bewerten müsste und bei seiner Verwirklichung gezwungen wäre, Dresden
den Welterbetitel abzuerkennen.

Angesichts dieses erst nachträglich erfahrenen Sachverhaltes haben rund 55.000 Dresdner Bürger nach Erlöschen der Rechtswirksamkeit des ersten Bürgerentscheides („pro Brücke“) in einem zweiten Bürgerbegehren einen neuen Bürgerentscheid gefordert. Dahinter stand der Wunsch, den Vorschlag der UNESCO umzusetzen, die Elbquerung mit einem (nachweislich machbaren) Tunnel anstatt einer Brücke zu bewerkstelligen. Damit hätte die für das internationale Ansehen der Stadt auf alle Zeit schmachvolle Aberkennung des Welterbetitels abgewendet werden können. Die politischen Verantwortungsträger des
Freistaates Sachsen haben dieses zweite Bürgervotum unter dem fragwürdigen Verweis auf angebliche verfahrenstechnischen Mängel jedoch für ungültig erklärt, ignoriert und damit die Willensbekundung von mehr als 55 0000 Dresdner Bürgern missachtet.
Dieser Vorgang wird heute systematisch verschwiegen und muss gerade deswegen in Erinnerung gehalten werden. Er hat das Vertrauen in die demokratische Glaubwürdigkeit der Politik nachhaltig beschädigt, die Staatsverdrossenheit weiter befördert und den Argwohn gegenüber den politischen Verantwortungsträgern verstärkt.

2. Der Bau der Brücke wurde ohne abschließendes Urteil über die Rechtmäßigkeit dieses Bauprojektes begonnen. Die Rechtslage ist noch heute ungeklärt. Das Rechtsverfahren wird gegenwärtig beim Bundesverwaltungsgericht verhandelt. Der Rechtsweg könnte bis zum Europäischen Gerichtshof führen. Und es könnte sich am Ende erweisen, dass das Bauwerk rechtswidrig ist. Dann wäre doch wohl zu prüfen, ob die Finanzmittel für den Bau der Brücke in dreistelliger Millionenhöhe nicht auch rechtswidrig ausgegeben wurden (?).

3. In mehreren Stellungnahmen sowie in einer umfassenden juristischen Expertise zur rechtlichen Bewertung der Sachlage, zur politischen Wirkung und zur Vorgehensweise der Politischen Verantwortungsträger hat Frau Professor Dr.jur.habil.Dr.rer.pol.habil Sabine von Schorlemer, bevor sie zur Sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst berufen wurde, als weltweit anerkannte Expertin des Völkerrechts, des Rechts der Europäischen Union und Internationaler Beziehungen, sowie Inhaberin des UNESCO-Lehrstuhls für Internationale Beziehungen an der Technischen Universität Dresden, öffentlich festgestellt, dass der Bau der Waldschlösschenbrücke als eine Missachtung des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UNESCO abgeschlossenen, völkerrechtlich verbindlichen Kulturvertrages zu bewerten sei. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat Deutschland ein internationales Vertragswerk missachtet. Das in der Nachkriegszeit
mühsam wieder aufgebaute Ansehen Deutschlands in aller Welt ein als verlässlicher Vertragspartner und als eine Kulturnation hat auf internationaler Ebene durch diese rüde Vorgehensweise in peinlicher Weise einen Rückschlag erlitten.
Bei Begegnungen im internationalen Raum kann man heute bereits feststellen, dass dieser kulturfeindliche Vorgang weltweit in Erinnerung geblieben ist und dass die Waldschlösschenbrücke längst zu einem Negativ-Symbol Dresdens, ja zu einem Kains-Mal auf der Stirn der Stadt heranwächst.

Wenn Sie eine Gedenktafel aufstellen wollen, Herr Zastrow, dann gebietet es die historische Redlichkeit, den von mehreren zehntausend Dresdner Bürgern in Wahrnehmung ihrer demokratische Rechte ausgeübten, weltweit wahrgenommenen Protest endlich nicht mehr zu desavouieren, sondern mit dem für einen Liberalen eigentlich doch gebotenen Anstand zu erinnern und anzuerkennen.
Zu erinnern sind auch die mit hoher fachlicher Autorität ausgestatteten, verschiedenen öffentlichen, ganz außerordentlich kritischen Stellungnahmen von Frau Prof. Dr. Dr. Sabine von Schorlemer, die unter anderem die Ignoranz der Politik in dieser Sache und die Blamage für Deutschland beklagt. Am Schluss ihres bemerkenswerten Exposés schreibt sie angesichts der Ohnmacht gegenüber der mit staatlicher Macht durchgesetzten kulturellen Barbarei: „inde irae et lacrimae“ – es bleiben Zorn und Tränen.
(Juvenal, römischer Dichter des 1. Jh. n. Chr., Exposée in: German Yearbook of International Law, Band 51 2008 S. 321-390)
Und mit Stéphane Hessel (Berlin 1917 – Paris 2013) möchte man hinzufügen: „Idignez Vous!“ – empört Euch, Dresdner Bürger!

Dr.-Ing. Sebastian Storz Dresden, 17. Mai 2013