Kein Erbe ohne Testament
Kein Erbe ohne Testament

SAX – Kein Erbe ohne Testament SAX – Das Dresdner Stadtmagazin, Ausgabe Oktober 2006

»Liebe macht sehend« – warum Dresdner Weltbürger sich zum Kultur- und Naturerbe bekennen

Am 11. Juli machte die UNESCO der Stadt Dresden ein Ultimatum zum Geschenk: Waldschlösschenbrücke oder Welterbetitel. Noch in der folgenden Nacht formulierte Reinhard Decker, Vorsitzender des Elbhangfest e.V., den Entwurf zum »Dresdner Appell zum Erhalt des Welterbestatus’. Neben dem Vereinsvorstand – dem, laut Decker, die eigene Satzung den Schutz des Elbhanges vorschreibt – fanden sich sofort zwanzig prominente Erstunterzeichner, die eindringlich an die politische Reife appellierten, um die Stadt vor einem »welt-kulturellen Desaster « zu bewahren und den Status »Welterbe Dresdner Elbtal« zu erhalten.

Schon in den folgenden sechs Wochen dokumentierten über 3.600 Menschen aus 26 Ländern ihr Bekenntnis zum Aufruf – meist über die Netzpräsenz www.welterbe-erhalten.de (Stand: 3. September 2006) – deren intellektuelle Quintessenz dermaßen zwingend wirkt, dass sich die SAX genötigt sah, das Habermas’sche Credo vom »zwanglosen Zwang des besseren Argumentes« zu testen und zu dokumentieren: als Vermächtnis oder Testament.
Folgende drei Fragen stellten wir sehr bekannten Bekennern zum Erbe – weitgereiste Weltenbürger, denen weder Lokalbrille noch Profi lierungs- und Partizipationsgelüste oder gar Horizontnähe eigen sind:

  • A) Was trieb Sie persönlich zu Ihrem Bekenntnis zum Welterbestatus?
  • B) Die Argumentation der Brückenbefürworter wirkt sehr abstrakt und verfestigt: Sehen Sie darob noch reale Chancen für einen politischen Kompromiss?
  • C) Welche Konsequenzen hätte es für das Land, die Region, die Stadt und Sie persönlich, falls der Welterbetitel verlorenginge?

PROF. MARTIN ROTH, GENERALDIREKTOR DER STAATLICHEN KUNSTSAMMLUNGEN DRESDEN:

  • A) Dresden ist – und war bis 1933 – eine international sehr bedeutsame Stadt. Weshalb will man sich unbedingt vor der Weltöffentlichkeit blamieren? Außerdem muss man schon auf beiden Augen und auf der Seele eine Hornhaut haben, wenn man die Schönheit des Elbtals vorsätzlich ruinieren möchte.
  • B) Es gibt wunderbare und zweckmäßige Tunnelarchitektur. Aber es geht doch jetzt schon nur noch darum, dass keiner das Gesicht verlieren möchte. Selbst aus Regierungsämtern hört man, dass sich keiner traut, seine wirkliche Meinung zu sagen. Das sind die autoritären Strukturen des Freistaates.
  • C) Die Frage ist sinnlos. Keine und alle Konsequenzen. Ein Vergleich: Bayern München entschließt sich morgen, auf die Bundesliga zu verzichten und spielt nur noch nach eigenen Regeln. Bayern würde sicherlich auch weiterhin noch gut kicken, aber irgendwie auf verlorenem Posten.

KLAUS VOGEL, DIREKTOR DES DEUTSCHEN HYGIENE-MUSEUMS:

  • A) Das hat eigentlich nichts mit meinem Beruf als Museumsdirektor zu tun, sondern mit dem persönlichen Erleben. Die Schönheit der Elblandschaft an der fraglichen Stelle ist so offensichtlich, so einzigartig, dass ich aus innerer Verbindung zu dieser gefährdeten Landschaft nicht anders konnte. Hier breitet sich das offenste Panorama aus, mit prägnanten Punkten, Flächen, Höhenlinien. Es ist lebendig, im Wechsel der Jahres- wie Tageszeiten und des Lichts – schöner kann sich unsere Stadt nicht zeigen. Liebe macht nicht blind, sondern sehend.
  • B) Obwohl mir ein gänzlicher Verzicht auf eine Elbquerung gerade an dieser Stelle am liebsten wäre, MUSS es hier einen Kompromiss geben. Der Brückenbau hat so tiefe Gräben gerissen, dass die Kommunikation zwischen Befürwortern und Gegnern sehr schwer geworden ist, bis in den privaten Bereich hinein. Die Stadt ist gespalten, und die verfeindeten Lager müssen zueinanderkommen. Dies ist es, was den Kompromiss notwendig macht – gleichzeitig macht es ihn fast unmöglich. Deswegen wird man ohne eine Vermittlung kaum auskommen.
  • C) Beruflich bin ich relativ viel unterwegs, um für unser Museum Kontakte zu knüpfen und zu werben. Es schlägt uns viel Sympathie entgegen, auch für die Stadt, aber ich werde auch sehr oft auf den Streit angesprochen. Und es ist wohl nicht nur ein mediengesteuertes Phänomen, wenn alle Gesprächspartner über die Brückenpläne entsetzt sind. Der Verlust des Welterbetitels wäre fatal, und man kann und darf das nicht nur aus der Dresdner Perspektive sehen. Wenn man auch nur ein paar Orte der UNESCO-Liste nennt, wird deutlich, was hier aufs Spiel gesetzt wird: die Altstadt von Prag, die Pyramiden von Giseh, das Taj Mahal – das ist die Klasse, in der Dresden nun ganz offi ziell mitspielt. Auch wenn man seine Urlaubsreisepläne nicht danach gestaltet: Der Welterbetitel ist ein sehr hoher Wert, auf den wir stolz sein können.

ANNETTE JAHNS, SÄNGERIN, REGISSEURIN, KUNSTPREISTRÄGERIN DER STADT DRESDEN:

  • A) Jeder Dresdner sollte stolz sein auf den Welterbestatus, alle anderen Haltungen halte ich für Höhenliniabsurd und nicht nachvollziehbar.
  • B) Natürlich muss es einen politischen Kompromiss beziehungsweise eine politische Entscheidung geben; alle wirtschaftlichen Erwägungen sollten geprüft werden und hintanstehen in dieser Frage!
  • C) Ich sehe die große Gefahr, dass mit dieser Brücke und der Konseqenz der Aberkennung des Welterbestatus ein Damm gebrochen wird und die Bautätigkeit in Elbnähe unkontrolliert weitergeht. Und ich bin sicher, dass sehr viele Menschen, denen es vorrangig um Geld geht, daran interessiert sind, auch Politiker!!!

KAI SIMONS, EMERITIERTER DIREKTOR DES MAX-PLANCK-INSTITUTS FÜR ZELLFORSCHUNG UND MOLEKULARBIOLOGIE DRESDEN, VORDENKER VON »BIOPOLIS DRESDEN

  • A) Ein Welterbe ist einmalig. Die Elblandschaft ist ohne Zweifel einmalig schön. Wäre die Brücke auch schön, dann ja. Aber so ist sie ein Fremdkörper.
  • B) Na klar.
  • C) Die Waldschlösschenbrücke ist eine einmalige Chance, ein Denkmal für die Torheit zu setzen. Das wäre eine Peinlichkeit, die ich mir ersparen will.

PROF. HARTMUT HAENCHEN, INTENDANT DER DRESDNER MUSIKFESTSPIELE:

  • A) Natürlich gehen internationale Verträge vor kommunale Wünsche. Insofern scheint mir die ganze Diskussion ohnehin sehr provinziell. Wenn wir in Wirtschaftsfragen die Urteile der World Trade Organisation respektieren, müssen wir im Zeitalter der Globalisierung in kulturellen Fragen auch die Zuständigkeit der UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur ernst nehmen. Sachsen als Kulturstaat und Dresden als weltweit bewundertes Gesamtkunstwerk aus Natur und Städtebau müssen sogar ein besonderes Interesse daran haben, dass das Ansehen der UNESCO jetzt nicht durch Trotz und Geringschätzung beschädigt wird.
    Das ist aber nicht der Beweggrund für mein Bekenntnis zum Welterbe: Es geht ganz einfach um die einzigartige Symbiose von Landschaft und Stadt in Dresden. Als Weltgereister weiß ich, worüber ich rede. In dieser Einzigartigkeit liegt die Zukunft der Stadt Dresden. Die darf nicht auf’s Spiel gesetzt werden. Die Verkehrsberuhigung, die die neue Brücke bringen sollte, ist zudem schon eingetreten. Also braucht Dresden diese geplante Waldschlösschenbrücke nicht. Sie ist zu groß. Da müssen wir nicht einmal über Ästhetik oder Welterbe streiten.
  • B) Ich denke, dass es möglich ist, gemeinsam wirkliche Argumente auszutauschen und zu einer Lösung zu kommen. Es geht ja zwischen den »Fronten« nicht um »keine Brücke« oder »eine Brücke« (denn inzwischen wurden ja an anderen Stellen bereits Brücken gebaut), sondern um eine Lösung, die die einzigartige Symbiose von Landschaft und Stadt erhält. Der Bürgerentscheid über »Ja« oder »Nein« zur Brücke hat damals keine Alternativen geboten und ist daher als Zustimmung zur Überbrückung der Elbe, aber nicht als unumstößliches Votum für diese Brücke zu werten. Sicher ist auch, dass die Elbquerung besser und billiger zu bauen ist.
    Als Alternative für die Waldschlösschenbrücke hätte schon längst ein Wettbewerb um die effizienteste Tunnellösung ausgeschrieben werden müssen, wobei auch die Möglichkeit einer Straßenbahntrasse einzubeziehen wäre. Es ist sicher, dass dies – im Gegensatz zu bisherigen Behauptungen der Brückenbefürworter – ganz sicher den heutigen finanziellen Rahmen sogar unterschreiten könnte und damit Geld für die Kultur erhalten werden könnte. Andere Städte haben uns das vorgemacht.
    In den Niederlanden gibt es Spezialisten dafür, die solche Vorhaben mit Wechselspuren entsprechend der Verkehrsflüsse sehr preisgünstig bauen können. Der sieben Kilometer lange Warnow-Tunnel hat inklusive fünf Brücken (!) rund 90 Millionen Euro gekostet. Das Dresdner Tunnel-Projekt wäre nur ein Bruchteil so groß und entsprechend billiger. Dann ließe sich auch die Abschreibung der bereits verausgabten Planungskosten verschmerzen, die auch Privatunternehmen verschmerzen müssen, wenn Investitionen von der Zeit überholt sind. Die langfristigen Unterhaltungsausgaben der Brücke müssen aus demselben Haushalt kommen wie die Kultur. Und hier reden wir laut Auskunft der Stadtkämmerei (25. August 2004) über einen Betrag für die Folgekosten des Verkehrszuges Waldschlösschenbrücke von 1.019.000 Euro jährlich! Nicht eingerechnet sind die Belastungen, die aus der dafür nötigen Kreditaufnahme entstehen würden. Wir reden also über einen wirklich großen Betrag. Diese Folgekosten wären für diese eine Brücke vergleichbar mit den Unterhaltskosten aller insgesamt sechs bestehenden Dresdner Brücken – einschließlich des Blauen Wunders! Diese Gelder müssten ebenfalls aus dem Verwaltungshaushalt gezahlt werden – genau wie die Kultur. Also würde wegen einer Brücke, die wir so nicht brauchen, weiter an der Kultur gespart werden. Verschwiegen wird auch, dass in den nächsten Jahren vier der Dresdner Brücken gründlich überholt werden müssen – ebenso ein Betrag von Millionen aus selbigem Haushalt.
  • C) Es ist schon sehr reaktionär, wenn die Befürworter an dieser technologisch übrigens vollständig veralteten Brücke festhalten und davon ausgehen, dass man mit dieser Brücke mehr Verkehr in die Stadt holen kann oder sollte. Gleichzeitig geht die Entwicklung international und national dahin, den Innenstadt- Verkehr, zum Beispiel durch City-Maut, zu begrenzen. Das ist die bereits in Planung befi ndliche Zukunft, an der auch Dresden in absehbarer Zeit nicht vorbeigehen kann. Städte wie Quedlinburg beweisen außerdem, dass der Welterbe-Titel einen enormen wirtschaftlichen Vorteil hat. Alle anderen »Gutachten« sind einfach tendenziös.

RODERICH KREILE, KREUZKANTOR:

  • A) In dem Wertesystem, das Dresden für sich selbst defi niert, nimmt die Ausstrahlung der Stadt durch Kunst und Kultur einen sehr hohen Stellenwert ein. Zur Kultur dürfen Faktoren wie Stadtbild und Landschaftsraum hinzugezählt werden. Der Weltkulturerbestatus bedeutet, dass eben diese Faktoren weltweit wahrgenommen und dann auch nachgefragt werden. Dem messe ich eine hohe Bedeutung zu.
  • B) Natürlich habe ich immer die Hoffnung, dass widerstreitende Meinungen, wo nötig, in Kompromissen oder anders gelagerten Lösungen zusammengeführt werden können. So auch hier.
  • C) Ich würde denken, dass da etwas nicht gut ausgegangen ist und dann weiter meine Arbeit tun.

PROF. KARL-SIEGBERT REHBERG, LEHRSTUHLINHABER FÜR SOZIOLOGISCHE THEORIE, THEORIEGESCHICHTE UND KULTURSOZIOLOGIE AN DER TU DRESDEN:

  • A) Viele meinen, es sei eine »bloße Geschmacksfrage«, ob man eine Brücke (vor allem mit einer monströsen Auffahrtsschnecke auf den geschützten Elbwiesen) akzeptabel findet oder nicht. Jedoch handelt es sich – wie der Schriftsteller Friedrich Dieckmann richtig formulierte – um »ästhetische Urteilskraft«. Ohne Rückwärtsgewandtheit orientiere ich mich in diesem Fall an der Weisheit früherer Generationen, welche die einzigartige Verbindung der Stadtsilhouette mit den Elbhängen zu erhalten wussten. Und überdies: Die Entgegensetzung von Schönheit und Wirtschaftskraft gilt für Dresden gerade nicht: Schönheit und Kultur bilden das wichtigste Kapital dieser Stadt.
  • B) Mein Eindruck ist, dass diejenigen, die mit dem Motto »Brücken bauen« für das Projekt eintreten, an Sachfragen nicht mehr interessiert sind, nur noch an der Durchsetzung des einmal gefassten Beschlusses. Suggeriert wird, man verteidige die Demokratie. Tatsächlich aber können die Bürger erst seit dem UNESCO-Beschluss über die Bedrohung des Welterbes die Konsequenzen ihrer Entscheidung abschätzen, denn beim Bürgerentscheid im Februar 2005 wurde fälschlich mitgeteilt, die UNESCO akzeptiere das geplante Bauwerk. Demokratie ist aber kein Verfahren zur Sicherung von Fehlentscheidungen, sondern vielmehr auch auf zivilgesellschaftliche Kontroversen und die Bereitschaft zu tragfähigen Lösungen angewiesen. Der beste Kompromiss wäre ein Tunnel zur Entlastung des innerstädtischen Verkehrs – nicht jedoch als Durchgangsverbindung zwischen der A4 und der A17. Eine solche Stadtquerung ist wegen der »Sackgasse« am Großen Garten ohnehin illusionär.
  • C) Merkwürdig genug, wenn eine »Kulturstadt«, die so viel Aufwand für die Defi nition einer werbewirksamen »Stadtmarke« treibt, so beiläufi g auf ein Pfund verzichten will, mit dem man wirklich wuchern kann. Banausisch-provinziell wäre das Verspielen dieser Ehrung ohnehin – mir jedoch geht es in erster Linie nicht um ein Etikett, sondern um das Elbtal!

UMFRAGE: ANDREAS HERRMANN