„Deutschland gibt 200 Millionen Euro dafür aus, ein Weltkulturerbe zu zerstören“
„Deutschland gibt 200 Millionen Euro dafür aus, ein Weltkulturerbe zu zerstören“

Inhalt:

Tagesspiegel, Berlin, 25.06.2009 — Vor dem Dammbruch – Das Dresdner Elbtal und der Welterbe-Titel: Auch Angela Merkel und ihr Kulturstaatsminister haben bei der Affäre versagt

Berliner Zeitung, 25.06.2009 — Eine Brücke spaltet die Stadt

Süddeutsche Zeitung, München, 22.06.2009 — Die Brücke der Schande – Ansichten eines „Petzers“: Deutschland gibt 200 Millionen Euro dafür aus, in Dresden ein Weltkulturerbe zu zerstören

Süddeutsche Zeitung, München, 22.06.2009 — Die Hoffnung stirbt zuletzt – Wie Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz mit einer Reise den Welterbe-Titel für ihre Stadt retten will

Die Zeit, Hamburg, 18.06.2009 — Deutschland raus! – Die Unesco soll den Welterbe-Titel des Dresdner Elbtals aberkennen


Die Artikel:

Tagesspiegel, Berlin, 25.06.2009

Das Dresdner Elbtal und der Welterbe-Titel: Auch Angela Merkel und ihr Kulturstaatsminister haben bei der Affäre versagt

Von Peter von Becker

Die erwartete Entscheidung, dem Dresdner Elbtal den so prestigefördernden Titel „Weltkulturerbe“ abzuerkennen, ist am Mittwochabend noch einmal vertagt worden. Seit 2006 hatte die Unesco-Komission den Stromlauf in und um Dresden auf die Rote Liste der gefährdeten Weltkulturerbe-Stätten gesetzt. Grund ist die damals geplante, seit 2007 nun im Bau befindliche Waldschlösschenbrücke am östlichen Rand der Dresdner Innenstadt. Das vierspurige Verkehrsprojekt aus Beton und Stahl bedeutet nach Ansicht des Unesco-Welterbekomitees einen gravierenden Eingriff in die als Natur- und Kunst-Ensemble geschützte Fluss- und Stadtlandschaft.

Die Stadt Dresden und das Land Sachsen waren also gewarnt, lange bevor die seit Anfang der Woche auf ihrer Jahreskonferenz in Sevilla zusammengekommenen Kommissionsmitglieder aus 21 Staaten im Rahmen von 120 Tagesordnungspunkten über den Fall Waldschlösschenbrücke berieten.

Deutschland mag sich freuen, wenn etwa sein Wattenmeer künftig zum offiziellen Weltkulturerbe gehört, was sich daraus erklärt, dass auch einzigartige Landschaften als „Naturdenkmäler“ mit dem Signum der in Paris residierenden UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur versehen werden können. Peinlich aber bleibt, dass sich ausgerechnet der Name Dresden mit dem singulären Vorgang verknüpft, dass einer der reichsten Kulturnationen der Welt von der Völkergemeinschaft attestiert wird, dass sie trotz entsprechender Verpflichtungen nicht in der Lage war, einen solchen Eklat zu vermeiden. Überhaupt erst ein Mal wurde eine der inzwischen knapp 900 anerkannten Weltkulturerbe-Stätten in über 145 Ländern wieder von der Liste gestrichen – das betraf ein durch neue Erdölförderung zerstörtes Naturschutzgebiet im Oman.

Es wirkt ja grotesk: Vor fünf Jahren erst wurde das Dresdner Elbtal auf Antrag der sächsischen Hauptstadt und des Freistaats Sachsen zum Weltkulturerbe erklärt. Und die schon bei der Antragsstellung geplante, jedoch aus Dilettantismus in den bei der Unesco eingereichten Unterlagen falsch bezeichnete Waldschlösschenbrücke ist so seit über zwei Jahren und mehreren, zum Teil noch anhängigen Gerichtsverfahren, Bürgerentscheiden, neuen Gutachten und Erkenntnissen ein öffentlicher, auch international diskutierter Streitfall. Die jeweils von der CDU geführte Dresdner Stadtpolitik und die sächsische Landesregierung aber haben in dieser Zeit alle Appelle von namhaften Stadtplanern, von Künstlern und Schriftstellern wie Günter Grass oder Christoph Hein, von Akademien und Bürgerinitiativen missachtet. Sie haben dabei die sinnfällige Alternative, an Stelle einer massiven Brücke mit LKW-Verkehr einen Tunnel unter der Elbe zu bauen, immer wieder schroff abgelehnt (vgl. Tagesspiegel vom 21. Juni).

Auch der in Sachsen aufgewachsene Zellbiologe und Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel, der in den USA ganz wesentlich zu Privatspenden für den Wiederaufbau der Frauenkirche beitrug, hat Anfang Juni in der „New York Times“ noch einmal zum Nachdenken und Innehalten aufgerufen. Doch wollte dies die seit letztem Jahr amtierende Dresdner CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz nicht interessieren. Sachsens ebenfalls erst 2008 ins Amt gekommener CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich verhält sich bei der wesentlich vom Freistaat finanzierten Elbbrücke öffentlich eher evasiv. Aber tatsächlich folgen Stadt und Land weiterhin der Linie des wegen der Landesbank-Kalamitäten abgetretenen Ex-Ministerpräsidenten Georg Milbradt: eines jeder Beratung unzugänglichen Brücken-Verfechters.

Das alles wäre also angesichts der symbolisch und faktisch weit über Dresden und Sachsen herauswirkenden Affäre längst ein Fall für Berlin gewesen: für die Bundeskanzlerin und ihren im Kanzleramt nebenan logierenden Kulturstaatsminister. Dessen Amt wurde 1998 von der Regierung Gerhard Schröder geschaffen und mit dem Argument begründet: Es sei notwendig, den wiedervereinigten Föderalstaat mit seinen 16 im Prinzip kulturhoheitlichen Bundesländern auch bei internationalen Kulturangelegenheiten, in der Europäischen Union oder gegenüber der UN und Drittstaaten angemessener, also mit einer Stimme vertreten zu können. Eine solche, nicht mehr nur im Auswärtigen Amt und bei den Goethe-Instituten verankerte „äußere Kulturpolitik“ setzt zugleich die Beratung der Bundesregierung mit den betroffenen Landesregierungen und gegebenenfalls aus gesamtstaatlichen Interessen auch eine entsprechende Ideengebung und Leitfunktion des im Kanzleramt angesiedelten Kulturstaatsministers voraus.

Bernd Neumann war da ein Ausfall. Was nicht zu entschuldigen, aber womöglich intern dadurch zu erklären ist, dass Kanzleramtsminister Thomas de Maizière bis 2005 sächsischer Innenminister war, er als strikter Befürworter der umstrittenen Waldschlösschenbrücke gilt und dabei das Ohr der Kanzlerin hat. Trotzdem hat hier auch Angela Merkel versagt. Während das Auswärtige Amt sich gegenüber der Unesco hinter den Kulissen seit 2006 um Schadensbegrenzung bemühte und Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) mit Finanzhilfen für einen alternativen Tunnelbau einspringen wollte, hat die CDU-Kanzlerin bei ihren sächsischen Parteifreunden nicht eingegriffen, indem sie den Fall so lakonisch wie konfliktscheu zur reinen Landessache erklärte. Man darf sicher sein: Würde Angela Merkels Wahlkreis statt in Mecklenburg-Vorpommern in Sachsen liegen, dann wäre die für das internationale Ansehen der Bundesrepublik und das (kultur)touristisch von in- und ausländischen Besuchern abhängige Dresden blamable Brückenaffäre längst vom Tisch gewesen. Und das Elbtal hätte seinen Welterbe-Titel weiterhin sicher.

Jetzt aber ist der Flurschaden – wie auch immer in Sevilla entschieden wird – eingetreten. Die durch einen zwischenzeitlichen, von Naturschützern erwirkten Baustopp zur Berühmtheit gewordene Kleine Hufeisennase (eine der zahllosen Dresdner Fledermausarten) oder der gleichfalls gerichtsnotorisch gewordene Wachtelkönig und die Grüne Keiljungfer (eine geschützte Libelle), sie alle dürften die einstmals sanften Uferauen am ausgebaggerten Bauplatz längst verlassen haben. Den Elbbogen unterhalb der Waldschlösschenbrauerei dominieren die aufgerissenen Trassen und die Brückenstützfundamente an beiden Ufern des Flusses.

Obwohl das Verkehrsaufkommen in Dresden seit Eröffnung einer Ringautobahn um ein Viertel zurückgegangen ist und sich die sachlichen Voraussetzungen des umkämpften Verkehrsprojekts mannigfach gewandelt haben, halten die Brückenbauer an ihren Plänen unbeirrt fest. Die Oberbürgermeisterin verweist auf einen gültigen Planfeststellungsbeschluss und reagiert auf die W-Brückenfrage, als wolle sie auch den Sachsen Richard Wagner beglaubigen, der einst sagte: „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun.“

So wird zu den vorhandenen fünf Brücken Dresdens statt des kaum teureren Tunnels oder eine für den Privatverkehr ausreichenden, schlankeren zweispurigen Brücke das W-Ding kommen. Man wird es, anders als es Zoom-Aufnahmen und virtuelle Darstellungen suggerieren, zumindest von der Stadt her kaum sehen. Aber der Flurschaden ist, neben dem Rufselbstmord, ein dem bisher geschützten Elbtal drohender weiterer Bauboom ohne ästhetischen Sinn und Verstand. Der Bann und Damm scheint nun gebrochen.

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Berliner Zeitung, 25.06.2009

Eine Brücke spaltet die Stadt

Von Dankwart Guratzsch (Frankfurt)

Noch vor einem Jahr war selbst Angela Merkel optimistisch. Die Bundeskanzlerin konnte sich nicht vorstellen, dass man in Dresden die Fristverlängerung, die die Unesco der Stadt gewährt hatte, um eine Lösung im Streit um den Bau der umstrittenen Waldschlösschenbrücke zu suchen, nicht nutzen würde.

„Es ist Zeit gewonnen“, ließ sie ihren Regierungssprecher Thomas Steg verkünden. Und sie bot der Stadt sogar ihre Vermittlung an. „Wenn gewünscht, werde sich die Bundesregierung einer Lösung bei der Konsenssuche nicht verweigern.“

Vielleicht ist das Angebot von der sächsischen Regierung und von der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) nicht richtig verstanden worden – denn von den Auflagen, die die Weltkulturorganisation mit dem Aufschub der Entscheidung über den endgültigen Entzug des Welterbetitels verbunden hatte, wurde keine erfüllt. Heute nun will die Unesco, die Dresden schon 2006 auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gestellt hatte, die endgültige Entscheidung treffen. Es gilt als wahrscheinlich, dass Dresden der Titel entzogen wird.

Es wäre der Schlussstrich unter einen Streit, der weit über Sachsens Landeshauptstadt hinaus die deutsche Kulturszene und Gesellschaft aufgewühlt hat. Nahezu 20 Berufsgruppen, Spitzenverbände des Kulturlebens, mehrere Bundesministerien und das Kanzleramt, Gerichte bis hinauf zu den Bundesgerichten sind damit befasst worden. Dreimal sind Stimmen für Bürgerbegehren gesammelt worden, an denen sich jeweils Zehntausende Dresdner beteiligt haben.

Ein solcher Fall ist einmalig nicht nur in der Nachkriegsgeschichte, sondern in der 200-jährigen Geschichte des deutschen Denkmal- und Naturschutzes überhaupt, einmalig auch in der Geschichte der Unesco und des von ihr erfassten Weltkulturerbes. Diese Singularität eines Streites um Gestaltungsfragen rückt den Fall in die Nähe eines ebenso einmaligen Kulturkonflikts, der sich mit dem Namen derselben Stadt verbindet: des Wiederaufbaus der Frauenkirche, der nur gegen herrschende Auffassungen der Kunstwissenschaft und Denkmalpflege und anfangs auch gegen den hinhaltenden Widerstand der evangelischen Landeskirche durchgesetzt werden konnte. Beide Male ging es um den Kernbestand der Identität des einstigen „Elb-Florenz“, der durch die Bombardements von 1945 tief greifend beschädigt worden ist. Und es ging in beiden Fällen um den „Mythos Dresden“, für dessen Wiedergewinnung viele Dresdner nicht erst seit der Wiedervereinigung große Opfer gebracht haben.

EIN MÄCHTIGER GEGNER

Im Fall der Waldschlösschenbrücke hatte es das kulturbewusste Bürgertum mit einem mächtigeren Gegner zu tun: der in den ostdeutschen Städten besonders starken Autolobby. Sie setzte unter Führung des sächsischen ADAC 2005 einen Bürgerentscheid durch, bei dem nur eine einzige Alternative zur Wahl stand: die Brücke am Waldschlösschen oder gar keine Brücke. Von dem hohen Preis der möglichen Aberkennung des eben erst verliehenen Welterbeprädikats war ebenso wenig die Rede wie von Alternativen, etwa einem Tunnel.

Das Ergebnis des Entscheids brachte denn Befürwortern der Brücke einen überwältigenden Sieg: 68 Prozent Jastimmen, nur 32 Prozent Gegenstimmen. Erst im Nachhinein erwies sich die Rechtskraft dieses Votums. Zuletzt bescheinigte selbst das Bundesverfassungsgericht dem Bürgerentscheid einen höheren Rang als den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der von ihr unterzeichneten Unesco-Konvention.

So unverrückbar die juristische Position der Brückenbefürworter war, so wenig konnten die Gegner den kulturpolitischen Anspruch aufgeben, die Schönheit der Kulturlandschaft Dresdner Elbtal zu erhalten. Seit einem umfangreichen Gutachten der Technischen Hochschule Aachen von 2006, das die Unesco in Auftrag gegeben hatte, stand die Unvereinbarkeit des Brückenprojekts mit dem Welterbestatus außer Frage. Die zentrale Feststellung lautete: „Die Waldschlösschenbrücke zerschneidet den zusammenhängenden Landschaftsraum des Elbbogens an der empfindlichsten Stelle und teilt ihn irreversibel in zwei Hälften.“

In der Begründung hatten die Wissenschaftler das Landschaftserlebnis in beinahe lyrischen Tönen umschrieben: „Die Elbwiesen bilden hier eine nahezu hindernisfreie Auenfläche mit nur wenigen eingestreuten Bäumen, wodurch sich inmitten der Großstadt Dresden ein einmaliger Eindruck landschaftlicher Weite ergibt, die nur dort zur Wirkung kommen kann, wo sie nicht unmittelbar an Grenzen stößt. Dieses eindrückliche Landschaftserlebnis wird durch die bogenförmige Krümmung des Talraums verstärkt, weil die baulichen Konturen der 112 benachbarten Ortsteile in den Hintergrund treten und sich der Eindruck von unendlicher Landschaft ergibt.“ Immer wieder fällt in diesem Zusammenhang das Wort vom „herausragenden Rang“ und von der „Einzigartigkeit und dem besonderen Wert dieser zusammenhängenden Kulturlandschaft“.

Um eine Bebauung und auch nur die Aufstellung von Reklameschildern an diesem Ort zu verhindern, hatten die Dresdner Stadtverordneten schon 1908 die Waldschlösschenwiesen für 400 000 Goldmark aus Privathand angekauft – und zwar ausdrücklich mit der Zielsetzung, dass „der einzigartige, herrliche Aussichtspunkt auf die Stadt und ihre Umgebung für alle Zeiten in städtisches Eigentum gebracht und gesichert“ werde. Erst den Nazis blieb es vorbehalten, mit diesem Grundsatz zu brechen. 1937 nahmen sie den Hang am Waldschlösschen als Brückenstandort in ihren Hauptverkehrsplan auf.

Es waren diese Pläne, die in der DDR wieder hervorgeholt wurden und zeitweise in Brückenprojekten mit acht Fahrspuren und dem Abriss ganzer Stadtquartiere mündeten. Nach der Wende begann dann das endlose Ringen um eine Lösung für die Elbquerung, die der Landschaft keine Gewalt antut und den Verkehrsbelangen Rechnung trägt. Eine große Bedeutung kommt dabei der conditio sine qua non zu, die der sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer im November 1995 formuliert hatte: Die sächsische Landesregierung werde keine andere Flussquerung fördern als eine Brücke am Waldschlösschen.

Damit waren Tunnellösungen und auch ein „Mehrbrückenkonzept“ für mehrere kleinere, aber weniger landschaftsbelastende und in der Summe billigere Brücken, für das 1996 23 000 Unterschriften gesammelt wurden, von vornherein ausgeschlossen. Der bis heute gültige favorisierte Brückenentwurf sieht eine Stahlkonstruktion von 635 Meter Länge mit einem Bogen in der Spannweite von 145 Metern und einem sich anschließenden Landtunnel von 400 Metern Länge vor. Mit einem Kostenvolumen von 156 Millionen Euro entsteht die teuerste Stadtbrücke Deutschlands. 96 Millionen Euro steuert der Freistaat Sachsen zu der Bausumme zu, 46 Millionen Euro muss die Stadt Dresden aufbringen.

Im jahrelangen Ringen um Korrekturen sind zuerst zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen, dann eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 Stundenkilometer für das gesamte Bauwerk sowie eine „Verschlankung“ der Konstruktion verordnet worden, ohne dass sich an der optischen Wirkung des Bauwerks Wesentliches geändert hätte.

Seit Juli 2006 steht Dresden auf der Roten Liste der gefährdeten Weltkulturgüter. Im November 2007 startete die Stadt die Bauarbeiten. Ein Bürgerbegehren gegen die Brücke und für einen Tunnel, für das bereits 50 000 Stimmen gesammelt worden waren, ließ die sächsische Regierung im April 2008 an juristischen Finessen scheitern. Am 4. Juli vor einem Jahr räumte die Weltkulturorganisation der Stadt eine letzte Frist von zwölf Monaten für das Verbleiben auf der Welterbeliste ein, wenn der Bau unverzüglich gestoppt werde und Maßnahmen eingeleitet würden, den bereits verursachten Schaden rückgängig zu machen.

OBERBÜRGERMEISTERIN IN SEVILLA

Nichts davon ist bis heute geschehen. Dennoch wiegte sich Dresdens Oberbürgermeisterin Orosz bis zuletzt in der Hoffnung, der Unesco dennoch einen weiteren Aufschub der Entscheidung bis nach der Fertigstellung des Bauwerks 2011 oder aber eine Herausnahme der Brücke aus dem Welterbegebiet abtrotzen zu können. Für einen Vier-Minuten-Vortrag vor dem Gremium reiste sie eigens nach Sevilla. „Aber die Würfel sind gefallen“, hielt ihr der Präsident des Welterbestätten-Vereins in Deutschland, Horst Wadehn, noch vor der Abreise entgegen. Für Dresden gebe es nur noch eine einzige Chance: „Wenn Frau Orosz in Sevilla einen Baustopp erklärt.“ Das tat sie nicht.

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Süddeutsche Zeitung, München, 22.06.2009

Die Brücke der Schande

Ansichten eines „Petzers“: Deutschland gibt 200 Millionen Euro dafür aus, in Dresden ein Weltkulturerbe zu zerstören

An diesem Dienstag wird das Welterbekomitee der Unesco in Sevilla über die Elblandschaft entscheiden. Den 21 Delegierten wird nichts anderes übrig bleiben, als Dresden von der Liste der Welterbestätten zu streichen.

Damit wird der Schlusspunkt unter eine schier einzigartige Kette von Peinlichkeiten gesetzt. 2006 wurde in einem Gutachten der Unesco festgestellt, dass der Bau der Waldschlößchenbrücke das Elbtal an seiner schönsten Stelle zerschneiden und damit irreversible Schäden anrichten würde. Das Elbtal wurde daher von der Unesco auf die rote Liste gesetzt.

Doch die sächsische Regierung berief sich auf einen Bürgerentscheid, der im Jahre 2005 vom ADAC sowie der Dresdner CDU und FDP initiiert worden war. Darin stimmte zwar nur ein Drittel der Wahlberechtigten Dresdner für den Brückenbau, trotzdem wurde im Herbst 2007 mit dem Bau begonnen.

2008 machte die Unesco klar, dass das Welterbe im Jahr 2009 von der Liste gestrichen werde, wenn das Baugebiet nicht wieder in seine ursprüngliche Gestalt zurückgeführt würde. Aber der Bau ging weiter, mit der klaren Absicht, vollendete Tatsachen zu schaffen. In einer peinlichen Weise begannen führende sächsische und Dresdner Politiker von CDU und FDP, die Unesco als undemokratische Organisation zu verunglimpfen.

Das Dresdner Elbtal werde Welterbe bleiben, auch wenn die Unesco den Titel aberkenne; man lasse sich doch nicht von anderen Staaten diktieren, was man in Dresden mache; der Titel sei verzichtbar, und dass die Touristen weiterhin nach Dresden kommen werden. Brückengegner wurden von führenden sächsischen Politikern der CDU und der FDP verunglimpft. Ich wurde von Dresdner CDU und FDP-Prominenten, als „vaterlandsloser Geselle” und „Petzer” bezeichnet.

Das Dresdner Elbtal wäre das erste Weltkulturerbe, das von der Unesco-Liste gestrichen würde. Viele der Hunderten von Kulturwelterbestätten befinden sich in armen Ländern, die sich bemühen, diese mit ihren beschränkten Mitteln zu erhalten. In Deutschland hingegen gibt man 200 Millionen Euro aus, um ein Weltkulturerbe zu zerstören.

Das Elbtal ist eingebettet in kilometerweite, weitgehend unberührte Wiesen und umgeben von Hängen mit Weinbergen, Villen und Schlössern, welche die Zerstörung der Stadt im Februar 1945 überstanden haben. Vieles, was während der DDR-Zeit verkommen war, wurde nach der Wende wiederhergestellt. Diese Oase der Stille und Schönheit ist allen, auch den weniger bemittelten Dresdnern, beiderseits des Flusses leicht zugänglich: zum Wandern, Fahrradfahren, Drachensteigen, Rudern, Schwimmen, Picknicken, Schlittenfahren und zum Meditieren auf einer in den Wiesen ausgebreiteten Decke. Man braucht kein Geld ausgeben, braucht nirgendwohin zu fahren oder zu fliegen. Man hat alles vor der Tür.

Die fast vollkommene Zerstörung der historischen Innenstadt Dresdens im Februar 1945 hatte damals selbst in England und Amerika Empörung ausgelöst. Mit großer Sympathie hat man daher weltweit verfolgt, wie die Dresdner ihre Bauten wiederherstellten. In der DDR-Zeit waren zunächst der Zwinger, dann die Katholische Hofkirche und letztlich die Semperoper wieder aufgebaut worden. Als dann nach der Wende der Wiederaufbau der Frauenkirche verkündet wurde, haben insbesondere England und Amerika diesen Wiederaufbau auch als ihre Aufgabe betrachtet. Millionen wurden dort gesammelt, um bei diesem Kraftakt mitzuhelfen. Dresden wurde zu einem Symbol der Völkerversöhnung.

Alles vorbei! Mit der empörenden Unnachgiebigkeit gegenüber der Unesco verliert Dresden nicht nur das Welterbe, sondern auch seinen Status als Ikone des Weltgedächtnisses. Unglaubwürdig werden auch die Bemühungen sein, in Dresden ein „Weltkulturforum” zu etablieren (quasi als Pendant zum Weltwirtschaftsforum in Davos). Wenn man die Welt nur will, wenn sie einem nützlich ist, aber nicht, wenn man sich an ihre Normen halten soll, soll man sich auch nicht wundern, wenn man als rückständig und provinziell eingestuft wird und mit einem Weltkulturforum nicht vorankommen wird.

Darf man nun resignieren, wie es viele bereits getan haben? Nein, absolut nicht!

Man sollte erst recht versuchen, einen Baustopp zu erreichen. Leider sind die führenden Politiker in Dresden und Sachsen aus eigener Kraft und Einsicht nicht in der Lage dazu, deshalb muss sich Bundeskanzlerin Merkel persönlich engagieren. Sie sollte ihre Parteikollegen in Dresden und Sachsen ermahnen, dass ein Verlust des Welterbes für Deutschland und besonders für Dresden nicht akzeptabel ist! Sie hat ja auch Papst Benedikt öffentlich ermahnt, da sollte sie wohl auch die Traute haben, ihren Dresdner Parteikollegen in die Parade zu fahren. Eine knappe Mehrheit des Stadtrats ist seit langem gegen die Brücke, was durch die Kommunalwahl erneut bestätigt wurde. Nun müssten sich nur ein paar CDU-Stadträte besinnen, und es wäre eine breite Mehrheit für den Baustopp zu erzielen.

Der Bau ist schon sehr weit fortgeschritten. Trotzdem lohnt sich die Kehrtwende noch. Denn die bereits gebauten Betonteile könnten Teil einer Tunnellösung werden. Klar, dies würde nun noch mehr kosten und zu Verzögerungen führen. Doch seit dem Bau der Autobahnspange rund um Dresden hat der Verkehr in der Stadt so dramatisch nachgelassen, dass diese sechste Elbquerung ohne weiteres auf sich warten lassen kann.

Würden sich die sächsischen CDU- und FDP-Politiker mit einer Kehrtwende so kurz vor Landtags- und Bundestagswahlen eine Blöße geben? Ganz im Gegenteil! Diese Korrektur könnte viele Wähler zurückgewinnen, die durch die potentatenhaften Allüren abgeschreckt wurden, mit denen der Bau durchgepeitscht wurde.

Man würde großen Respekt dafür ernten, wenn man zeigt, dass man auf Befürchtungen und Argumente eingeht. Wenn man eine welterbeverträgliche Lösung findet, würde die Unesco dies sicher mit einer Wiederaufnahme des Elbtals in die Liste honorieren. Dresden könnte ein glaubwürdiges Weltkulturforum werden, wo man aus eigener Erfahrung diskutieren kann, wie dornige Probleme mit Weltoffenheit gelöst werden können. „Die Schönheit wird die Welt retten”, schreibt Dostojewski. In seiner Nobelpreis-Rede im Jahr 1970 nahm Alexander Solschenizyn dies auf und sagte, dies sei keine Phrase, sondern eine Prophezeiung. Es lohnt sich daher auch, im Fall des Dresdner Elbtals an eine Rettung der Schönheit zu glauben und weiter dafür zu kämpfen.

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Süddeutsche Zeitung, München, 22.06.2009

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Wie Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz mit einer Reise den Welterbe-Titel für ihre Stadt retten will

Die Oberbürgermeisterin hat es nicht leicht: Seit die einstige Kindergärtnerin im vergangenen Sommer zur ersten Bürgerin der Elbestadt gewählt wurde, sieht man sie in wechselnden Kostümen bei bedeutenden Anlässen durchs Fernsehbild stöckeln – und immer wieder erregt ihr Outfit Anstoß.

Als der russische Präsident Wladimir Putin im Januar zum Semperopernball nach Dresden kam, trug Orosz ein höchst auffälliges Kollier, das ein örtliches Juweliergeschäft der Oberbürgermeisterin zu Reklamezwecken ausgeliehen hatte.

Den US-Präsidenten Barack Obama empfing die Kommunalpolitikerin in einem pinkfarbenen Etuikleid mit Jäckchen, gefertigt von einer Dresdner Designerin, deren Name auch sogleich bekannt gemacht wurde. „Miss Piggy“ witzelten die einen über die modebewusste OB, andere dachten an Schleichwerbung. Am Donnerstag erschien die Politikerin nun in einem roséfarbenen Kostüm im sächsischen Landtag: Sie wollte erklären, wie der Verlust des Welterbetitels für Dresden, der wegen des Baus der umstrittenen Waldschlösschenbrücke droht, im letzten Moment noch abzuwenden wäre. Denn am Wochenende tritt das internationale Welterbe-Komitee zu seiner Jahresversammlung in Sevilla zusammen.

Anfang kommender Woche steht die als einmalig betrachtete Kulturlandschaft an der Elbe auf der Tagesordnung. Das Pariser Welterbezentrum hat den Delegierten aus 21 Ländern bereits die Aberkennung des Titels empfohlen, weil es die Elbeauen unwiderruflich durch den Brückenbau verschandelt sieht. Helma Orosz möchte den Unesco-Delegierten nun einen „Kompromiss“ vorschlagen, der verblüffend einfach klingt: Ihr Ziel sei es, in Sevilla zu erreichen, dass der Aberkennungsbeschluss vertagt würde, erklärte die Oberbürgermeisterin.

Für wie lange die Vertagung gelten soll? Ganz einfach, meint Orosz: „Bis die Brücke fertig gestellt ist“. Dann werde man ja sehen, dass das Bauwerk „kein Schandfleck ist“, sondern nur ein Bauteil in einer neuen „Bildkomposition, die nicht stören wird“.

Ein seltsamer Kompromiss : Zwei Kilometer flussaufwärts vom Landtag hört man die Maschinen kreischen, die grünen Elbwiesen sind mit Bergen von Sand, Rohren und anderem Baumaterial bedeckt. Längst haben Bauarbeiter Fundamente für die Brückenpfeiler gegossen, Straßenumgehungen wurden gebaut, bald soll der Stahl geliefert werden. „Die Arbeiten liegen voll im Zeitplan“, sagt Orosz.

Die Waldschlösschenbrücke dürfte die teuerste Stadtquerung werden, die je in Deutschland gebaut wurde: Zwar sind bislang „nur“ 160 Millionen Euro veranschlagt, angesichts der gestiegenen Stahlpreise dürfte der Preis Experten zufolge jedoch auf 200 Millionen Euro steigen.

Und der Preis, den die Aberkennung des Welterbetitels kostet dürfte unermesslich sein: Dresden wäre weltweit erst die zweite Stätte, die dieses Urteil hinnehmen muss – nach einem Wildschutzgebiet im arabischen Oman. Deutsche Welterbe-Aspiranten wären wohl auf längere Sicht nicht mehr allzu gut angesehen bei der Unesco.

Und so reist Helma Orosz nun nach Sevilla, um den Delegierten dort ihren Kompromissvorschlag“ schmackhaft zu machen. Zwei Minuten darf sie reden, in dieser Zeit will Orosz erklären, warum das Welterbe-Komitee bitte Rücksicht darauf nehmen möge, dass der Brückenbau für Dresden unumgänglich sei. „Es ist das erste Mal, dass das Stadtoberhaupt persönlich an einer Sitzung des Weltberbe- Komitees“, unterstreicht die Kommunalpolitikerin die Bedeutung ihres Auftritts in dem internationalen Gremium.

Beim Deutschen Kulturrat glaubt man dagegen nicht, dass der Titel noch zu retten ist. Zudem sei der drohende Verlust keine lokale sondern eine nationale Angelegenheit, sagte Geschäftsführer Olaf Zimmermann. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, kommentierte OB Orosz derweil ihre Reise. Auch bei einer Aberkennung werde Dresden weiter selbstbewusst agieren. Ihre Kostümwahl in Sevilla, so darf man vermuten, dürfte wieder selbstbewusst sein.

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Die Zeit, Hamburg, 18.06.2009

Deutschland raus! – Die Unesco soll den Welterbe-Titel des Dresdner Elbtals aberkennen

Seit Jahren fordern sächsische Brückenfreunde uns auf, über die Brücke des Wahnsinns mal etwas Positives zu schreiben. Gelegentlich emp­fehlen sie auch den Rausschmiss des notorisch negativen, durch keine brachiale Baumaß­nahme zu besänftigenden Redakteurs. Das erinnert uns an selige DDR-Zeiten, als das Posi­tive Pflicht und alle Medien mit allem einver­standen waren. Wir haben der schönen Stadt Dresden zuliebe trotzdem verzweifelt nach Argumenten für die Waldschlösschenbrücke gesucht. Was ließe sich rühmen: dass sie fast so teuer wie die Frauenkirche ist? Dass sie die Elb­auen zerstört, obwohl keine Querung ge­braucht wird? Dass sie Stau erzeugt, Vögel ver­treibt und für Fußgänger unpassierbar bleibt?

Ohne ideologische Tricks wie etwa falsche Mobilitätsversprechen lässt sich der Dresdner Betonwahn schwerlich verteidigen. Mit einem manipulierten Bürgerentscheid wurde denn auch vor Jahren der Baubeginn ertrotzt. Ver­geblich demonstrierten Tausende Bürger, buhten Nobelpreisträger, ketteten Schriftsteller sich an Bäume. »Wozu in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!«, sagt Goethe, der auch mal in Dresden war. Wenn das Positive das Naheliegende ist, muss man die Brücken­freunde in Stadt, Freistaat und Bund vor allem für ihre Beratungsresistenz rühmen: dass sie sparsame Tunnelalternativen ignorierten, Pro­testplakate beschlagnahmten und die Kompromisswerkstätten der Unesco boykottierten. Wir haben auch so genug Touristen!

Das war standhaft, und für diese sture Standhaftigkeit kommt man auf die Rote Liste des bedrohten Welterbes, und wer dann immer noch seine Brückenbauwerke verteidigt, dem wird der begehrte Weltkulturerbe-Titel aberkannt. Es hat allerdings in der Geschichte der Unesco noch nie eine solche Aberkennung gegeben, nicht einmal für die Sprengung von Buddhastatuen durch die Taliban. Wir Deut­schen werden wahrscheinlich die ersten erfolg­reichen Titelverlierer sein. Nächste Woche fällt die Entscheidung der Vereinten Nationen.

Den Sachwaltern nationaler Selbstbestimmung, die solche internationale Dreinrede ablehnen, sei jetzt schon gesagt: Es handelt sich um ein na­tionales Kulturerbe, das zu schützen die Nation selber nicht bereit ist. Immer wieder musste die Unesco uns mit Titelentzug drohen. Nun soll sie die Drohung wahr machen und unser an­geblich so kulturbeflissenes, in Wahrheit kul­turbanausenhaftes Land von der Liste streichen. Deutschland raus!