Div. Presseberichte zum UNESCO-Beschluss
Div. Presseberichte zum UNESCO-Beschluss

Inhalt:

Hamburger Abendblatt, 26. Juni 2009 — Na dann gute Nacht, schönes Dresden

Hamburger Abendblatt, 26. Juni 2009 — Kommentar: Dresden verliert das Weltkulturerbe – Bittere, notwendige Konsequenz

MAINPOST, 29.06.2009 — Zeichen gegen die Zerstörung

Das Parlament, 29.06.2009 — Bau mit Folgen


SPIEGEL ONLINE, 26. 06. 2009 — Faustrecht und Barock

Die Artikel:

Hamburger Abendblatt, 26. Juni 2009

Na dann gute Nacht, schönes Dresden

Von Matthias Gretzschel

Weil die Waldschlösschenbrücke kompromisslos gebaut wird, machte die Unesco gestern ihre Drohung wahr und strich Dresden das Weltkulturerbe.

Hamburg. Nach stundenlanger Beratung, die seit Montag immer wieder verschoben worden war, hat das Welterbekomitee der Unesco gestern Nachmittag beschlossen, das Dresdner Elbtal von der Liste des Weltkulturerbes zu streichen. Das Votum fiel mit 14 Ja-, fünf Nein- und zwei ungültigen Stimmen deutlich aus. Die Titel-Aberkennung für eine Kulturstätte ist ein bislang einmaliger Vorgang. Dennoch kam die Entscheidung nicht überraschend. Bereits 2006 hatte die Unesco erklärt, dass sich der Bau der Waldschlösschenbrücke nicht mit dem Welterbetitel vereinbaren lasse. Noch im selben Jahr setzte die Kulturorganisation das Elbtal auf die Rote Liste der gefährdeten Stätten.

Doch der Freistaat Sachsen und die Stadt Dresden trieben die Planung unbeirrt voran und gewannen auch alle juristischen Auseinandersetzungen, sodass am 19. November 2007 die Bauarbeiten begannen. Dabei beriefen sich die politisch Verantwortlichen auf einen Bürgerentscheid, bei dem sich 2005 eine Mehrheit der Dresdner für das Bauprojekt entschieden hatte. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, dass der Bau wahrscheinlich die Aberkennung des Titels zur Folge haben würde. Auch eine mögliche Tunnellösung, für deren Realisierung sich zum Beispiel der Hamburger Architekt Volkwin Marg vom Büro gmp in einem „Offenen Brief“ an die Stadtverwaltung ausgesprochen hatte, war nicht Gegenstand dieses Bürgerentscheids.

Seit vier Jahren wird die Auseinandersetzung um die Waldschlösschenbrücke in Dresden immer unerbittlicher geführt. Während die Gegner, zu denen nicht nur Umweltschützer, sondern auch große Teile der Kulturszene zu rechnen sind, alle juristischen Möglichkeiten ausnutzten und zahlreiche spektakuläre Protestaktionen initiiert haben, sehen die Befürworter in der Haltung der Unesco eine unangemessene Bevormundung, die dem erklärten Bürgerwillen zuwiderlaufe.

Schon im Vorfeld der Entscheidung haben viele Brückenbefürworter klar gemacht, dass ihnen am Welterbetitel längst nicht mehr gelegen ist. Die Unesco gilt ihnen als Feindbild, den Titel betrachten sie als wertlos. In der für einen nicht geringen Teil der Dresdner Bevölkerung typischen Mischung aus konservativer Kulturbeflissenheit, Lokalpatriotismus und ahnungsloser Provinzialität pfeifen sie auf die Meinung der Welt und berauschen sich an der Schönheit von Zwinger, Frauenkirche und Semperoper.

Einem ebenfalls großen Teil der Bevölkerung fällt es dagegen schwer, die in der Tat demokratisch legitimierte Zerstörung eines Teils ihrer Kulturlandschaft hinzunehmen. Auch wenn Dresdens Bürgermeisterin Helma Orosz (CDU) in Sevilla gestern erneut davon schwärmte, die Brücke sei „Teil einer neuen Bildkomposition, die nicht stören wird“, lässt sich nicht leugnen, dass hier eine wunderschöne, in Jahrhunderten gewachsene und bewahrte Sichtbeziehung zerschnitten und zerstört wird.

Es geht um eine Perspektive, die Maler seit mehr als 200 Jahren immer wieder angeregt hat, die Dichter wie Friedrich Schlegel, Karl August Varnhagen von Ense, Friedrich Schiller und Erich Kästner rühmten und die unzähligen Menschen und sei es nur beim täglichen Vorüberfahren im Auto oder der Straßenbahn tief in sich aufgenommen haben. Als der Bildhauer Ernst Rietschel 1814 zum ersten Mal nach Dresden kam und am Waldschlösschen sah, wie wunderbar sich hier der Blick zur Stadt im Tal öffnete, schwärmte er: „… der im Morgenlicht glänzende Strom, daran die im Dufte schimmernde Stadt mit ihren Türmen“.

Heute dröhnt an derselben Stelle der Lärm von Baufahrzeugen und schon bald wird ein Betonbogen diesen einzigartigen Blick versperren.
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Hamburger Abendblatt, 26. Juni 2009

Kommentar: Dresden verliert das Weltkulturerbe – Bittere, notwendige Konsequenz

Von Matthias Gretzschel

Die Welterbe-Kommission stand bei ihrer Tagung in Sevilla gestern vor gar keiner Wahl. Sie musste dem Dresdner Elbtal den Titel aberkennen. Mit jeder anderen Entscheidung hätte sie nicht nur ihre Glaubwürdigkeit verloren, sondern auch ihr Gütesiegel entwertet.

In Dresden haben sich die politisch Verantwortlichen für den Bau einer Brücke entschieden, durch den einer jahrhundertealten Kulturlandschaft schwerer Schaden zugefügt wird. Die Variante eines Tunnels, den die Unesco akzeptiert hätte, wurde nicht einmal ernsthaft geprüft.

Wäre dieses Verhalten folgenlos geblieben, hätte das Weltkulturerbe seinen eigentlichen Sinn verloren. Dieser besteht nicht in der Tourismusförderung, sondern im Schutz von wertvollen Kultur- und Naturlandschaften vor ökonomischen oder infrastrukturellen Eingriffen. Hätte die Unesco die Brücke akzeptiert, mit welchen Argumenten sollte sie künftig Hochhäuser vor Notre-Dame, Windkraftanlagen vor den Pyramiden von Gizeh oder Kühltürme vor dem Taj Mahal verhindern?

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MAINPOST, 29.06.2009

Zeichen gegen die Zerstörung

Leitartikel: Welterbe: Nicht nur Dresden hat Brückenpläne

Wer einmal das Elbtal vom Schillergarten am Fuße des Blauen Wunders flussabwärts bis zu den Brühlschen Terrassen im Herzen Dresdens gewandert ist, der kann ermessen, welch zerstörerischer Eingriff der Bau der Waldschlösschenbrücke ist. Allmählich zeichnen sich Kuppeln und Türme ab, stundenlang behindert nichts den Blick auf die näher rückende Stadtsilhouette. Die Weite der Elbauen und die spürbare Nähe der Stadt: Es ist unvorstellbar, dass diese Magie sich gegen einen massiven Betonriegel wird behaupten können, daran ändert auch der zynisch verharmlosende Name der Brücke nichts.

Das UNESCO-Welterbekomitee hat das Elbtal von seiner Liste gestrichen. Jetzt, wenige Tage später, denkt die Mehrzahl der Dresdner bereits über eine neue Bewerbung der Stadt um den Titel nach. Ein Stimmungsumschwung, während in Sevilla die Jahrestagung des Komitees mit weiteren Entscheidungen zu Ende geht. Auch Regensburg hat Brückenpläne an die UNESCO herangetragen und das Mittelrheintal – zwei Welterbestätten. Schließlich ist ein Erbe etwas, das es zu achten und zu bewahren gilt. Wer dies nicht tut, der wird sein Erbe verlieren.

In Dresden haben die Brückenbauer Stadt und Freistaat das Projekt mit einer Sturheit vorangetrieben, die eine klare Verurteilung verdient. Fast ist man versucht, der UNESCO zu applaudieren, wäre die Angelegenheit nicht so traurig. Der unerbittliche Baubeginn weckt unangenehme Erinnerungen an die wahnhaften Träume von der autogerechten Stadt der 1960er und 1970er Jahre. Man bedenke nur, wie knapp der Würzburger Ringpark einst seiner Zerstörung zugunsten einer die Altstadt umschließenden Teerpiste entgangen ist.

Natürlich kann man das Bewahren um seiner selbst willen in Frage stellen. Die Menschen haben immer wieder Altes zugunsten von Neuem zerstört. Unzählige barockisierte romanische oder gotische Kirchen künden davon. Die Leipziger Kaufleute haben im 19. Jahrhundert ganze Barockviertel plattgemacht, um ihre prachtvollen (und zweckmäßigen) Messepaläste zu bauen. Und Georges-Eug?ne Haussmann hat im Auftrag Napoleons III. Paris fast komplett abgerissen und großzügiger wieder aufgebaut. Heute sind die Boulevards einzigartige Touristen-Attraktionen.

Es waren Pioniere wie Eug?ne Viollet-le-Duc, die – ebenfalls im 19. Jahrhundert – den Keim für ein neues Selbstverständnis der Menschen gelegt haben. Die erkannt haben, dass die Zeugnisse unserer Vergangenheit unerlässlich für das Begreifen unserer Gegenwart sind, so groß die Versuchung des Neuen, des Praktischen auch immer sein mag.

Wir aber, Urenkel der Moderne und Kinder der Postmoderne, leben in einem Zeitalter der Beliebigkeit, das kaum noch Sinn für Proportionen und keinerlei verbindliche Formensprache mehr kennt. Erlaubt ist, was sich aus Gründen der Staatsräson oder schlicht mit wirtschaftlicher Macht durchsetzen lässt.

Das Welterbekomitee hat mit der Dresdner Entscheidung ein klares Signal gesetzt. Auch in Richtung all der anderen Sachwalter von Weltkulturerbe-Stätten, die glauben, nach Gutdünken schalten und walten zu können.

Noch einmal: Niemand soll eingeschnürt in einem Museum leben müssen. Die Idee Weltkulturerbe aber bedeutet, dass die Menschheit Wert und Bedeutung der Schöpfungen ihrer Ahnen anerkennt und sich verpflichtet, sie nicht zu zerstören. Wer darunter nur braune Schilder an der Autobahn und Sternchen in Reiseführern versteht, der hat den Titel nicht verdient. Tragisch nur, dass der angerichtete Schaden ein Verlust für alle Menschen ist.
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Das Parlament (Nr. 27), 29.6.2009

Bau mit Folgen

Die Unesco hat das Elbtal von der Liste der Weltkulturerbe gestrichen. Im Bundestag wird derweil über ein Bundesgesetz zur Umsetzung der UN-Konvention debattiert

Die Reaktionen kamen prompt. Kaum hatte die Unesco, die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, die Streichung des Dresdner Elbtals von der Liste des Weltkulturerbes bekannt gegeben, machten Bundestagsabgeordnete ihre Enttäuschung über den Bau der Waldschlösschenbrücke und das Ergebnis der Verhandlungen deutlich. Von einer „höchst bedauerlichen Streichung“ war genauso die Rede wie von einem „schwarzen Tag für die Kulturnation Deutschland“ und einem „hausgemachten Skandal“. Nicht einig waren sich die Politiker jedoch, ob ein Debakel wie dieses künftig durch ein Umsetzungsgesetz zur Welterbe-Konvention verhindert werden könnte. Ein entsprechender Antrag der Grünen-Fraktion (16/13176) wird vermutlich am 2. Juli mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt werden.

Herausragende Landschaft

Den Bau der vierspurigen Autobrücke über die Elbe hatte der Dresdner Stadtrat schon 1996 beschlossen. Im Juli 2004 erklärte die Unesco das Dresdner Elbtal zum Weltkulturerbe. Sie würdigte das Areal, einen knapp 20 Kilometer langen Flussabschnitt im Stadtgebiet von Dresden, als einen Kreuzungspunkt für Kultur, Wissenschaft und Technologie und als eine herausragende Kulturlandschaft.In dem Abschnitt liegen nicht nur zahlreiche Barockbauten aus dem 18. Jahrhundert, wie etwa der Zwinger mit den Gemäldesammlungen.

Zur Landschaft gehören auch Schlösser und Villen sowie einige alte Dörfer. Weite Teile der Elbwiesen sind – aufgrund von Hochwassergefahr – unbebaut, weshalb das Dresdner Elbtal zu den schönsten Flusstälern weltweit zählt.

Diese Schönheit wird nach Ansicht der UN-Organisation durch die Brücke nun deutlich beschädigt, da diese in Sichtweite der Innenstadt gebaut wird. In den vergangenen Jahren gab es schon massive Warnungen. 2006 landete Dresden auf der Roten Liste der gefährdeten Welterbestätten, auf der sich hauptsächlich Orte befinden, die durch Kriege oder Naturkatastrophen beschädigt sind. Das Land Sachsen jedoch setzte weiter auf das Vorhaben, zumal ein Bürgerentscheid aus dem Jahr zuvor eine Mehrheit für den Brückenbau ergab. Von einer Aberkennung des Welterbetitels war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keine Rede.

Der Rat der Stadt Dresden dagegen wurde aktiv: Er beschloss den Baustopp und versuchte sein Vorhaben gegen die Landesregierung sogar vor dem Bundesverfassungsgericht durchzusetzen – allerdings vergeblich. Im Juni 2007 beschloss die Unesco, Dresden eine weitere Schonfrist zu geben. Doch schon im November desselben Jahres begannen die Arbeiten für die Autobrücke.

Unausweichlicher Beschluss

Die kulturpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen zeigten sich angesichts dieser Vorgeschichte nicht überrascht von der Entscheidung der UN-Organisation. „Die Unesco konnte nicht anders handeln“, sagte Monika Griefahn (SPD). Sie habe den Weltkulturerbestatus aberkennen müssen, „um ihre eigene Glaubwürdigkeit und den Wert der Auszeichnung nicht zu beschädigen“. Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) beschuldigte unter anderem die Landesregierung, mit „Sturheit und Uneinsichtigkeit“ die Entscheidung unvermeidbar gemacht zu haben.

Lukrezia Jochimsen (Die Linke) nannte das Votum „eine Schmach für die so hoch gepriesene Kulturnation Deutschland“. Auch Wolfgang Börnsen (CDU) sagte dieser Zeitung, er „bedauere die Entscheidung außerordentlich, aber der Bau war Bürgerwille“. Seiner Meinung nach hätte die Unesco dem Wunsch stattgeben sollen, ein Jahr abzuwarten, um die Konsequenzen des Baus für die Landschaft wirklich einschätzen zu können.

Um ein Debakel wie dieses künftig zu verhindern, fordern die Grünen ein Umsetzungsgesetz, mit dem die Wirkung der UN-Konvention gestärkt wird. Da das Übereinkommen zum Völkervertragsrecht zähle und somit nicht als „unmittelbar innerstaatlich geltendes Recht“ anzusehen sei, bedürfe es Änderungen etwa im Baugesetzbuch und im Flurbereinigungsgesetz.

Unterstützt werden sie in ihrem Anliegen von FDP- und Linksfraktion. „Die Entscheidung des Unesco-Welterbekomitees beweist: Ohne ein Ausführungsgesetz gibt es offenbar kein rechtliches Instrumentarium, um alle Länder und Kommunen zur Einhaltung der Konvention anzuhalten“, sagte Hans-Joachim Otto (FDP). „Man hätte aus dem Dresdner Desaster lernen können – aber die Koalitionsparteien wollen nicht einmal das“, klagte Jochimsen. Die Koalitionsfraktionen hatten am 17. Juni im Kulturausschuss gegen den Antrag gestimmt.

„Die Umsetzung der Konvention ist reine Ländersache“, sagte Börnsen. Er würde jedoch einen Beschluss der Bundesländer über ein gemeinsames Vorgehen beim Welterbe befürworten. Die SPD-Fraktion kündigte an, in der nächsten Legislaturperiode zu prüfen, ob die Bestimmungen der Konvention „noch verpflichtender als bisher gesetzlich verankert werden können“. So eindeutig, wie die Grünen es darstellten, sei die rechtliche Lage nicht.

Ob die Dresdner sich ein zweites Mal um die Aufnahme in die Welterbeliste bewerben, ist fraglich. Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) sagte, dies werde es nur geben, wenn die Bürger das Ansinnen unterstützten. Die Brücke aber soll auf jeden Fall weitergebaut werden. Sandra Ketterer
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SPIEGEL ONLINE, 26. Juni 2009

Faustrecht und Barock

ABERKENNUNG DES WELTERBE-TITELS

Morddrohungen gegen Architekten, Disneyland-Architektur und Politiker, die sich der Autofahrer-Lobby unterwerfen: Ursache für das Dresdner Brückendebakel ist das Klima der Stadt: Kulturbigotterie und Kulturlosigkeit liegen eng beieinander. Ein Kommentar von Steffen Winter, Dresden.

So sieht kein Welterbe aus. Nicht mal in Burkina Faso. Haushohe Spundwände schneiden sich seit Monaten in die Dresdner Elbaue, Baufahrzeuge aller Art buddeln sich durch unberührte Natur. Das Areal am Waldschlösschen sieht aus, als wolle die Stadt ihr Parkproblem mit einer gigantischen Tiefgarage direkt neben der Elbe beheben. Schon beim Anblick auf die in Bau befindlichen Zufahrtsstraßen packt den ahnungslosen Dresden-Reisenden inzwischen das kalte Grausen. Und dabei ist die 600 Meter lange, vierspurige und millionenschwere Brücke noch gar nicht gebaut.

Dass die Unesco Dresden den Welterbetitel aberkannt hat, kann niemanden ernsthaft verwundern, der in jüngster Zeit einmal vor Ort war. Das Elbtal gleicht in einem entscheidenden Abschnitt inzwischen einer Mondlandschaft. Die Sachsen haben auf den Erbetitel gepfiffen, sie haben die Weltgemeinschaft mit ihrer Provinzialität, Randständigkeit und Bauwut verhöhnt. Und sind, in Teilen, auch noch stolz darauf, es denen da oben mal wieder ordentlich gezeigt zu haben.

Ausgerechnet Dresden. Eine Stadt, die an ihrer Kulturbeflissenheit zeitweise fast erstickt. Wo möglichst noch das Klohäuschen wieder in Barock erstrahlen soll. Wo die Menschen die Frauenkirche originalgetreu wieder aufbauten. Den Platz darum zwanghaft so gestalten, wie er vor den Bombenangriffen im Februar 1945 einmal war. Heute sieht der Neumarkt aus wie Disneyland. Es gibt namhafte Architekten in dieser Stadt, die Morddrohungen erhielten, weil sie die Innenstadt mit moderner Architektur auflockern wollten. In Dresden toben extreme Kulturkämpfe – und eigentlich gewinnen immer die Bewahrer.

Nur nicht, wenn es um die Elbaue und die Waldschlösschenbrücke geht.

Um dieses Phänomen zu verstehen, muss man vor allem den Dresdner Autofahrer kennen, dem Kultur am Steuer weitgehend fremd ist. In dieser Stadt werden Radfahrer geschnitten, Fußgänger zum Sprint über die Straße gezwungen, das gute alte Reißverschlussprinzip gern mal dem Faustrecht geopfert. Das Repertoire an obszönen Gesten ist in der feinen Barockstadt schier unermesslich. Der gemeine Fahrzeugführer ist hier vor allem eines: aggressiv und chronisch genervt.

Das passt zwar nicht zur Legende vom gemütlichen Sachsen, ist aber vor allem hausgemacht. Mit 27 Kilometern pro Stunde zottelt der Verkehr im Durchschnitt durch die meist verstopfte Metropole. Grüne Wellen erhofft man vergeblich. Ein Taxifahrer hat im Selbstversuch herausgefunden, dass er auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt nur dann alle Ampeln bei grün erwischt, wenn er im Schnitt 100 fährt. In Dresden, immerhin Sitz einer verkehrswissenschaftlichen Fakultät, sind Straßenbahnschienen teilweise derart planlos durch die Stadt gelegt, dass an jeder Haltestelle der gesamte Verkehr zum Erliegen kommt. Deshalb wird hier um jeden Meter gekämpft. Wer bremst, hat verloren.

Da galt eine neue Brücke natürlich als Wundermittel. Als Bypass quasi, der den drohenden Infarkt verhindert. Pläne dafür hatten die Dresdner seit Generationen. Seit dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges 1871 sollten alte Fährverbindungen durch Brücken ersetzt werden, schon 1900 gab es eine Bürgerinitiative. 1988 beschließt die DDR endlich den Bau einer Elbquerung an dieser Stelle, dann geht sie unter.

Im Jahr 2000 gibt es einen Spatenstich für die Brücke, später rückte der Stadtrat von dem Projekt ab. 13 Millionen Euro kosteten allein die Planungen. Bis es im Februar 2005 zu dem alles entscheidenden Bürgerentscheid pro Brücke kam. 67,9 Prozent der Dresdner stimmten für den Bau. ADAC, CDU und Liberale hatten mächtig getrommelt für das Bauwerk. Hatten die genervten Autofahrer mit teils schlichten Parolen motiviert, obwohl es immer strittig war, ob die Querung tatsächlich die versprochene Entlastung auf den Hauptstrecken bringt.

Dass die Brücke den Titel als Welterbe kosten könnte, wussten die Menschen bei der Abstimmung nicht. Das ist der große Makel des Urnengangs. So lag die Beteiligung am Entscheid nur bei knapp 50 Prozent, viele heutige Gegner blieben zu Hause. Letztendlich hat eine Minderheit den Bau durchgesetzt – ein neues Bürgerbegehren, von vielen nach dem ersten vernichtenden Statement der Unesco gefordert, war rechtlich unmöglich. Der Bau eines Tunnels, als einzige Alternative zur Aberkennung, politisch und juristisch nicht durchsetzbar.

Nun müssen die Dresdner ohne Titel und mit Brücke leben. Ihre Arroganz könnte sich am Ende rächen. Bisher kamen die Touristen von allein und in Strömen. Wollten die Frauenkirche sehen, das Grüne Gewölbe, das Stadtschloss. Doch vieles hat sich inzwischen relativiert. An der Frauenkirche brauchen Touristen kaum noch anstehen, um hinein zu kommen. Die Besucherzahlen in der Stadt gehen zurück. Das neue Negativ-Image könnte den Trend verstärken.

In der Stadt gehen unterdessen die Grabenkämpfe weiter. Ausgerechnet den Brückengegnern wird nun vorgeworfen, sie seien für die Aberkennung verantwortlich. Erst ihr Protest habe die Unesco auf das Bauwerk aufmerksam gemacht. Umweltverbände versuchen weiterhin, die Elbquerung mit juristischen Mitteln zu stoppen. Und die Oberbürgermeisterin träumt schon von einem neuen Antrag auf Aufnahme in die Welterbeliste. Wenn die Brücke fertig ist: 2011.